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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Danz
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nicht, er sollte fliegen, sollte mich zurücklassen, mich vergessen und seine Angst vor mir. Aber ich würde mich erinnern, sicher ein Leben lang, ein Leben, das um siebzig Jahre länger sein kann als seines. Es war keine Zeit, Namen zu geben. Er flog, flog mit Leichtigkeit in den ersten Bogen hinein, als stünde er für ihn schon am Himmel und er brauche nur hineinzugleiten. Er flog, als wäre das alles nicht wahr gewesen, als hätte meine Hand ihn nie berührt. Nein, wie konnte sie auch, etwas, das so weit, so hoch, so ungebunden flog, kann keine Menschenhand berühren. Nein, es war ein anderer Segler. Oder ich war es, aufgeflogen hoch über die Dächer der Stadt, mir sah einer nach von fern.
Durst
    Es ist schön, in der Nacht gemeinsam etwas zu trinken. Die Nacht ist warm, die Vögel sind still, nichts bewegt sich, alles wartet, etwas wird geschehen, die Nacht lauert. Ich hatte eine Weile schon auf dem Trockenen gelegen, aber die Hälfte davon war Traum. Ich erwachte von einem Schreck, weil mein Bett haltlos über die schrägen Dielen rutschte und die Wand wie Wolken war, ganz weiß war es um mich, nicht einmal der Halt eines Blickes. Was war die Wirklichkeit, was der Traum? Die Schrägen blieben im Kopf, aber der feste Boden, auf dem ich stand, schien wirklich zu sein. Unsicher stand ich auf, ja, er war wirklicher als das Weiß. Jetzt fiel es mir auf, ich hatte Durst, großen Durst, der mich geweckt haben mußte. Ich stieg die Stufen zur Küche hoch, der Mond schien hell. Mutter saß im Mondschein am Tisch, ganz ruhig, sie sagte nichts, vielleicht war ich doch noch im Traum. Ich versuchte zu sagen: Mutter. Aber es klang anders, mein Mund war ausgetrocknet. Sie stand auf und holte, noch immer schweigend, ein Glas und goß aus dem Krug, der vor ihr auf dem Tisch stand, Wasser hinein. Jetzt endlich sagte sie etwas: Eine schwüle Nacht. Du hast Durst. Ja, sagte ich. Wir setzten uns an den Tisch, die Stühle schurften auf dem Boden, ein bekanntes Geräusch, jetzt war ich endlich aufgewacht. Neben mir saß Mutter und trank aus ihrem Glas, stellte es ab und sah mich ruhig und friedlich an: Na, trink. Ich trank das Glas leer. Mutter sah mich noch immer mit demselben Blick an. Es ist schön, in der Nacht gemeinsam etwas zu trinken, sagte sie.
    Jetzt sah ich am Ende des Tisches, ein ganzes Stück von Mutter entfernt, eine Photographie liegen. Ich lehnte mich über den Tisch und griff danach. Ein Mädchen. Wer ist das? Ich bin das, Jan. Du? Ja, da war ich so alt, wie du jetzt bist. Nein, das kann nicht sein, Mutter. Daß du vor mir auf der Welt warst, daß du so alt warst wie ich und von mir nichts wußtest, das kann nicht sein. Es tat mir weh. Daß sie so unvorstellbar sein konnte, die doch meine Mutter war, bei der ich immer war. Der Anfang meines Lebens war sie, und sie sollte vorher gar nicht an mich gedacht haben, sollte wie ich durch den Tag gegangen sein, ohne zu wissen, daß ich einmal da sein würde. Und was tat sie jetzt anderes, auch wenn sie hier war, was wußte ich von ihr. Erzähl mir. Erzähl etwas, ich will, daß ich damals dein Freund war.
    Ich verstehe es auch nicht, Jan. Einmal warst du in mir und wir waren
ein
Mensch. Einmal wirst du noch hier sein, und ich werde nicht mehr sein. Aber nichts anderes will ich. Du sollst bleiben, und ich gehe, und dann gehst auch du, und deinen Kindern wird diese Photographie keinen Stich ins Herz geben, wenn du sagst, das ist eure Großmutter. Sie werden nichts als eine Frau aus einer anderen Zeit sehen und es eigentlich nicht glauben. Es gibt ja andere Zeiten, das tut uns nie weh. Nur uns beiden tut es jetzt weh, Jan, weil wir hier sitzen, zur gleichen Zeit, weil wir reden können und verstehen, weil wir einander nah sind und lebendig. Gut, ich erzähle dir was von mir. In der Zeit, als diese Photographie entstand, dachte ich, alles läge noch vor mir, ich glaubte, alle Zeit der Welt zu haben und unerschöpfliche Kraft. Morgen zum Beispiel, dachte ich oft, könnte ich tagelang nach Osten fahren, bis mir die Landschaft vertraut würde, ich könnte ein Jahr lang mit keinem Menschen reden, und dann käme einer, der sagte nur: Komm mit. Dann kam einer, der sagte zuerst gar nichts und sah mich abweisend an, aber ich spürte, daß er mich nicht abwies. Es war dein Vater. Er war der einzige Mann, den ich in meinem Leben geliebt habe. Am Anfang war alles gut. Aber er war damals genau so, wie er heute zu dir ist. Ihr beide, ich beobachte euch oft. Aber was soll man als Frau mit

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