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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Danz
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ebenmäßig meine Gedanken.
November
    Im November lag ich mit Echo auf dem Dachboden. Wenn du ein Mensch wärst, Echo, würde ich dich lieben, weil du zu meinem Leben auf dem Turm gehörst. Aber du kannst nichts tun, was ich mir nicht vorstellen könnte. So kann ich dich nicht lieben. Mein Geben und dein Geben, diese Rechnung darf nie aufgehen, denn dann wären wir ohne Grund. Ja, sagt Echo, und für mich bist du wie jeder andere, der in meine Welt dringt. Du bist nur das Auftreffen des Lichtes in einem besonderen Winkel auf meinen Spiegel. Meine Geschichte ist das Gegenteil der Liebe, sie ist das Leben ohne Liebe. Das es gar nicht gegeben haben wird, wenn ich nicht mehr sein werde. Ich habe keinen Namen, Jan. Du aber hast einen, mit dem du aufbrechen kannst vom Turm. Ich bin nur der Widerstand, an dem du dich formst, das in dich dringende Fremde. Deines Blickes wegen bin ich wirklich geworden. Alle Antworten sind Fragen.
Kristall
    Der erste Schnee. In Böen weht er über den First, vor dem Fenster verharren die Kristalle, sehen herein, sind hundertfach sie selbst. Das Muster einer einzigen Frage und einer einzigen Antwort: jetzt. Nun gibt es auch hier oben eine Landschaft, Himmelslandschaft. Manchmal wie in lockerer Schraffur, wenn der Wind die Flocken schräg treibt. Manchmal verharren sie unbeweglich für einen Moment, als hätten sich Teile aus der Welt gelöst und schwebten nun ohne irdisches Gesetz in der Luft. Ganz neu ist der Schnee, und meine Erinnerung an den Schnee vom letzten Jahr zählt nicht. Dieser kann hart sein wie Glassplitter. Oder er kann sich einbrennen. Er kann sein Muster in mich prägen, daß ich bin wie er: symmetrisch, mir selbst überall gleichend, eisig.

1914
Fledermäuse
    Die geschwinden, großangelegten Bögen der Schwalben, als skizzierten sie das Werk des Kirchbaumeisters in das lichte Blau. Es ist Frühling geworden. Auch die Fledermäuse im Dachstuhl sind aus ihrer Winterstarre erwacht. Ihre eckigen und zuckenden Linien wetteifern mit den Schwalben darum, das Aufmaß einer künftigen Kathedrale zu entwerfen. Jede Wand auszuloten mit dem Echo ihres hohen Tones. Früher konnte ich ihn noch hören. Mutter, hörst du das? Nein, was? Das Schreien. Das Schreien? Meinst du die Fledermäuse, Jan? Ich weiß nicht, ich glaube, ja. Nein, ich höre es nicht mehr. Du wirst es später auch nicht mehr hören können, so feine Stimmen sind nur für Kinder, man wird gröber mit den Jahren, Jan. Du auch. Nein, ich werde es nicht. Ich lauschte jedes Jahr, wenn es warm wurde und in der Abenddämmerung die Fledermäuse zu fliegen begannen, ob ich ihr hohes Schreien noch hören konnte oder ob ich schon grob geworden war. Als ich neun Jahre alt war, habe ich es nicht mehr gehört. Ich sah sie noch fliegen mit denselben Bewegungen, aber ich hörte keinen Ruf mehr, ich hielt den Atem an und wartete, aber hörte nichts mehr und konnte mir den Ton nicht mehr ins Gedächtnis rufen. Ich weinte und rannte von zu Hause fort. So grob wollte ich nicht leben. Aber vor Kummer allein stirbt man nicht, und ein kleiner Junge kommt zu Fuß nicht weit.
Ahnen
    Die Saatkrähen sind aus dem Osten gekommen. Sie fliegen in großen Bögen. Aus der Gewohnheit endloser Felder, denke ich. Durch mein rundes Fenster sehe ich sie abends Kreise fliegen, um die Kirche, um das Dach, auf dem sie sich endlich niederlassen werden. Erst setzt sich eine auf den First, fliegt nicht wieder auf, andere kommen hinzu, bleiben, Ruhe kehrt ein. Vaters Anwesenheit macht sie unruhig, und wenn er sich bewegt, stieben sie alle wieder auseinander, eine ganze Stunde in der Dämmerung, dann werden ihre Kreise weiter, und nur noch selten fliegt eine um die Kirche, bis sie ganz verschwunden sind. So ist es seit einer Woche, fast glaube ich, ich kenne sie: diese Kreise, die abrupt von den wieder Auffliegenden durchbrochen werden. Es ist für einen Moment, als wären es rückwärtsdrehende Reifen, einige haben die Gegenrichtung eingeschlagen, aber dann ist der Sog der ursprünglichen Richtung doch stärker, und wie in einem Strudel kreisen alle um das Dach. Bis die nächsten sich setzen, unruhig wieder auffliegen, das Drehen des Kreises stören, bis er für einen Moment in der Bewegung verharrt. Der Moment, der der vergehenden Zeit doch etwas hinzufügt, ein kleines Stück Zeit. Ich atme ein, ein gewonnener Atemzug, einer, der mich retten wird, wenn die Luft knapp sein wird. Wenn ich am Boden liege und etwas, das schwerer ist als Luft, niederfällt und auf

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