Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis
er unter der Deckung seines Gegners hindurch und stieß die Machete so gewandt und blitzartig hoch, dass Will der vernichtende Hieb gegen die Kehle der Schmeißfliege entging.
Dunkler Schaum spritzte durch die Luft, während der Styx zurücktaumelte. Er ließ die Sicheln fallen, stieß einen blutigen, röchelnden Laut aus und umklammerte seine verletzte Luftröhre.
Wie ein Matador, der den Todesstoß ausführt, trat Tam vor und nahm seine Waffe für den letzten Stoß in beide Hände – die Klinge versank bis zum Heft in der Brust seines Gegners. Mit einem gurgelnden Zischen hielt sich der Styx an Tams Schulter fest, um nicht zu stürzen, schaute dann zutiefst ungläubig auf den groben Holzgriff hinab, der ihm aus der Brust ragte, und hob den Kopf. Einen Augenblick standen die beiden Kontrahenten völlig reglos da wie zwei Schauspieler in einer Tragödie und starrten einander in stummer Erkenntnis an.
Dann stützte Tam sich mit dem Fuß an der Schmeißfliege ab und riss seine Machete heraus. Der Styx schwankte wie eine Marionettenfigur an unsichtbaren Drähten, und seine Lippen formten leere, atemlose Flüche.
Imago und die Jungen sahen zu, wie der tödlich verwundete Mann Tam ein letztes Mal erstickt anfauchte, um dann rückwärtszuwanken und zu Boden zu stürzen, wo er leblos liegen blieb. Ein Raunen ging durch die Reihen der Styx; sie schienen wie gelähmt und unsicher, was sie tun sollten.
Tam nutzte ihr Zögern und verschwendete keine Zeit. Mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt er sich die verletzte Seite und rannte zurück, um sich Imago und den Jungen anzuschließen. Sein Rückzug wiederum mobilisierte die Styx. die vorwärtsstürmten und einen Kreis um die Leiche ihres gefallenen Kameraden bildeten.
In größter Eile führte Tam Imago und die Jungen durch einen Gang im Labyrinth. Sie waren jedoch noch nicht weit gekommen, als er zur Seite wankte und sich an der Wand abstützte. Er atmete schwer, und der Schweiß floss ihm in Strömen über das Gesicht, vermischte sich mit dem Blut seiner Schnittwunde und tropfte von seinem stoppeligen Kinn.
»Ich werde sie aufhalten«, keuchte er und schaute sich zum Tunneleingang um. »Das verschafft euch einen kleinen Vorsprung.«
»Nein, ich übernehme das«, sagte Imago. »Du bist verletzt.«
»Ich bin sowieso am Ende«, sagte Tam leise.
Imago schaute auf das Blut hinab, das aus der klaffenden Wunde in Tams Brust strömte, und für den Bruchteil einer Sekunde begegneten sich ihre Blicke. Als Imago Tam seine eigene Machete gab, wurde deutlich, dass die Entscheidung gefallen war.
»Nein, Onkel Tam! Bitte komm mit uns«, flehte Cal mit erstickter Stimme, da er begriff, was dies bedeutete.
»Dann wären wir alle verloren, Cal«, sagte Tam, lächelte matt und legte den Arm um ihm. Dann griff er unter sein Hemd, riss sich etwas vom Hals und drückte es Will in die Hand. Es war ein glatter Anhänger mit einem eingravierten Symbol.
»Nimm das«, sagte Tam rasch. »Dort, wo du hingehst, könnte er dir vielleicht nützlich sein.« Er ließ Cal los und trat einen Schritt beiseite. Dann packte er Will an der Schulter, ohne den Blick von dessen jüngerem Bruder abzuwenden. »Und pass mir gut auf Cal auf, ja, Will?« Tam verstärkte den Griff um ihn. »Versprich es mir.«
Will fühlte sich so betäubt, dass Tam sich schon von ihm abgewandt hatte, ehe er ein Wort hervorbringen konnte.
Verzweifelt fing Cal an zu schreien: »Onkel Tam … komm … komm mit uns …«
»Bring sie weg, Imago«, rief Tam, während er auf die Tunnelöffnung zuging, in der im gleichen Moment die Furcht einflößende Division der Styx auftauchte.
Cal rief weiterhin Tams Namen und machte keinerlei Anstalten aufzubrechen, sodass Imago ihn am Kragen packen und mit Gewalt tiefer in den Tunnel schieben musste. Dem völlig aufgelösten Jungen blieb nichts anderes übrig, als zu gehorchen, doch er begann, unkontrolliert zu schluchzen. Will ging es kaum besser, und Imago musste ihm wiederholt auf den Rücken schlagen, um ihn anzutreiben. Erst als sie um eine scharfe Ecke bogen, ließ Imago für einen Augenblick nach und schien zu zögern. Die drei – Will, Cal und Imago – drehten sich um, um einen letzten Blick auf den großen, schweren Mann zu werfen, dessen Konturen sich dunkel vor dem Grün der Stadt abzeichneten, während er die beiden Macheten kampfbereit hochhielt.
Dann trieb Imago sie erneut an, und Tam verschwand für immer aus ihrem Blick. In ihre Netzhaut eingebrannt blieb jedoch jene letzte
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