Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis
wenig amüsiert, als sie sah, wie die Beamten Wills Kleidungsstücke aus dem Wäschekorb im Flur fischten und jedes einzelne Teil sorgfältig in einem Plastikbeutel versiegelten, ehe sie es nach draußen zu den Polizeiwagen trugen. Rebecca fragte sich, was Wills getragene Unterhosen ihnen wohl verraten konnten.
Zunächst vertrieb Rebecca sich die Zeit damit, hinter den Polizisten herzuräumen und das Chaos, das diese verursachten, wieder zu beseitigen. Auf diese Weise konnte sie sich im Haus bewegen und versuchen, etwas von den Gesprächen der Beamten mitzuhören. Aber als niemand von ihr Notiz zu nehmen schien, gab sie nicht länger vor aufzuräumen und lief ungehindert umher, wobei sie die meiste Zeit im Flur vor dem Wohnzimmer verbrachte, wo der Kriminalhauptkommissar und seine junge Assistentin Mrs Burrows befragten. Aus den Antworten, die Rebecca aufschnappte, schloss sie, dass ihre Mutter abwechselnd distanziert und dann wieder beunruhigt war und nicht das Geringste zur Aufklärung von Wills Verschwinden oder seinem derzeitigen Aufenthaltsort beitragen konnte.
Schließlich zogen die Beamten ab und versammelten sich vor dem Haus, wo sie rauchend und lachend herumstanden. Kurz darauf tauchten Beatty und seine Assistentin aus dem Wohnzimmer auf, und Rebecca folgte ihnen zur Haustür. Als der Kriminalbeamte den Weg zu den geparkten Einsatzwagen hinunterging, hörte sie, wie er sich an seine Kollegin wandte.
»Die Tante hat ein paar Schrauben locker, wenn Sie mich fragen«, sagte er mit gesenkter Stimme.
»Ja, sehr traurig«, erwiderte die Assistentin.
»Wissen Sie …«, setzte Beatty an und schwieg einen Moment, um noch einmal einen Blick auf das Haus zu werfen, »der Verlust eines Familienmitglieds ist höchst bedauernswert …«
Seine Kollegin nickte.
»… aber gleich zwei zu verlieren, das riecht verdächtig«, fuhr der Kriminalbeamte fort. »Verdammt verdächtig. «
Seine Assistentin nickte erneut und verzog ihr Gesicht zu einem grimmigen Lächeln.
»Wir sollten lieber noch das Gemeindeland abkämmen … sicher ist sicher«, hörte Rebecca ihn sagen, ehe er außer Hörweite war.
Am nächsten Tag wurden sie beide auf die Polizeiwache gebracht. Dort verhörte man Mrs Burrows mehrere Stunden lang, während Rebecca in einem anderen Raum zusammen mit einer Dame vom Jugendamt warten musste.
Nun, drei Tage später, ging Rebecca die Ereignisse noch einmal in Gedanken durch. Sie schloss die Augen und rief sich die unbewegten Gesichter der Beamten und ihre Gespräche erneut ins Gedächtnis.
»Das bringt doch alles nichts«, sagte sie schließlich und warf einen Blick auf ihren Wecker. Dann stand sie auf, nahm das Handtuch vom Kopf und zog sich rasch an.
Im Wohnzimmer lag Mrs Burrows vollständig bekleidet in ihrem Sessel, das Reiseplaid wie einen lehmfarbenen Stoffkokon um sich gewickelt. Die einzige Lichtquelle bildete der Fernsehbildschirm, auf dem gerade ein Programm der Tele-Akademie lief. Das kühle blaue Licht pulsierte periodisch, und seine tanzenden und hüpfenden Schatten ließen die Möbel und Einrichtungsgegenstände im Raum lebendig werden. Mrs Burrows schlief tief und fest, als ein seltsames Geräusch im Zimmer sie weckte – ein tiefes dunkles Murmeln, wie ein kräftiger Wind, der durch die Zweige der Bäume im Garten fuhr. Sie öffnete die Lider einen winzigen Spalt. In der anderen Ecke des Wohnzimmers, neben den halb vorgezogenen Vorhängen der Terrassentüren, konnte sie eine große, schemenhafte Gestalt erkennen. Einen Moment lang fragte sie sich, ob sie vielleicht träumte, als sich der Schatten plötzlich bewegte und im Licht des flackernden Bildschirms seine Silhouette veränderte. Angestrengt versuchte sie zu erkennen, was sich dort befand. Sie fragte sich, ob es sich möglicherweise um einen Einbrecher handeln konnte. Was sollte sie machen? So tun, als würde sie schlafen? Oder einfach nur ruhig daliegen, damit der Einbrecher sich gar nicht um sie kümmerte?
Sie hielt den Atem an und versuchte, die aufsteigende Panik in den Griff zu bekommen. Die Sekunden verstrichen wie Stunden, während die Gestalt reglos verharrte. Allmählich kam ihr der Gedanke, dass es vielleicht wirklich nur ein harmloser Schatten war. Eine Augentäuschung oder ein Produkt ihrer hyperaktiven Fantasie. Langsam ließ sie die Luft aus ihren Lungen entweichen und schlug die Augen ganz auf.
Plötzlich ertönte ein schniefendes Geräusch, und zu ihrem Entsetzen teilte sich der Schatten in zwei geisterhafte
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