Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis
wilde Ausdruck ungezügelter Wut in ihrem Gesicht ließ Rebecca einen Schritt zurückweichen.
»Mum! Mum, ich bin’s, Rebecca. Es ist alles in Ordnung … sie sind weg … sie sind alle weg!«
Auf Mrs Burrows’ Miene breitete sich ein zufriedenes Grinsen aus, während sie sich selbst davon überzeugte. Dann nickte sie langsam; offenbar erkannte sie ihre Tochter nun wieder.
»Es ist alles in Ordnung, Mum, wirklich«, versuchte Rebecca, sie zu besänftigen. Sie näherte sich der heftig schnaufenden Frau und nahm ihr behutsam die Pfanne aus der Hand. Mrs Burrows ließ sie gewähren.
Rebecca seufzte erleichtert. Als sie sich umschaute, entdeckte sie mehrere dunkle Flecken auf dem Teppichboden – möglicherweise Dreck oder … Rebecca sah genauer hin und runzelte die Stirn: Blut.
»Wenn sie bluten«, verkündete Mrs Burrows, die Rebeccas Blick gefolgt war, »dann kann ich sie auch töten.« Sie bleckte die Zähne und stieß ein tiefes Knurren hervor; dann brach sie in ein schreckliches, unnatürliches, krächzendes Keckern aus.
»Wie wär’s mit einer schönen Tasse Tee?«, fragte Rebecca und zwang sich zu einem Lächeln, während Mrs Burrows wieder in Schweigen verfiel. Sie legte ihrer Mutter einen Arm um die Taille und führte sie in Richtung Wohnzimmer.
23
Will wurde brutal aus dem Schlaf gerissen, als die Zellentür aufflog und der leitende Beamte ihn auf die Füße zerrte. Während er sich schlaftrunken die Augen rieb, verfrachtete man ihn aus dem Zellentrakt, durch den Eingangsbereich der Polizeiwache und aus dem Haupteingang hinaus auf den oberen Absatz der Steintreppe.
Dort ließ der Polizist ihn los, und Will torkelte ein paar Stufen hinunter, bis er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Er blieb stehen, erschöpft und ziemlich verwirrt. Als Nächstes hörte er ein dumpfes Geräusch, als sein Rucksack neben ihm landete. Dann machte der Beamte auf dem Absatz kehrt und verschwand ohne ein Wort wieder in der Wache.
Nach der langen Zeit in der engen dunklen Arrestzelle war es für Will ein merkwürdiges Gefühl, im hellen Schein der Straßenlaternen auf dem Bürgersteig zu stehen. Eine leichte Brise streifte sein Gesicht – sie war feucht und muffig, aber nichtsdestotrotz eine Wohltat nach der stickigen Luft in der Zelle.
Und was passiert jetzt?, fragte sich Will und kratzte sich am Hals unter dem Kragen des groben Hemdes, das ihm einer der Polizisten gegeben hatte. Sein Hirn war noch immer wie umnebelt, und er setzte zu einem herzhaften Gähnen an, erstarrte dann aber, als er ein Geräusch hörte: Ein Pferd wieherte unruhig und stampfte ungeduldig mit einem Huf auf das feuchte Kopfsteinpflaster. Will schaute auf und entdeckte auf der anderen Straßenseite eine dunkle Kutsche, vor die zwei schneeweiße Pferde gespannt waren. Auf dem Kutschbock saß ein Kutscher, die Zügel in den Händen. Die Tür der Kutsche schwang auf, Cal sprang heraus und kam auf ihn zu.
»Was soll das werden?«, fragte Will misstrauisch und wich einen Schritt zurück.
»Wir bringen dich nach Hause«, erwiderte Cal.
»Nach Hause? Was meinst du mit nach Hause? Zu dir nach Hause, oder was? Ohne Chester gehe ich nirgendwohin!«, verkündete er entschlossen.
»Pst, leise!« Cal stand nun dicht vor ihm. »Sie beobachten uns«, sagte er eindringlich und deutete mit dem Kopf vorsichtig die Straße hinunter, ohne dabei den Blick von Will zu wenden.
An der Straßenecke stand eine einzelne Gestalt, reglos und dunkel wie ein geisterhafter Schatten. Will konnte gerade einmal den weißen Kragen erkennen.
»Ich gehe nicht ohne Chester«, zischte Will.
»Was glaubst du wohl, was mit ihm passiert, wenn du nicht mit uns kommst? Denk mal darüber nach.«
»Aber …«
»Sie können ihn in Ruhe lassen oder auch nicht. Das liegt ganz bei dir.« Cal sah Will flehentlich in die Augen.
Will warf noch einen letzten Blick auf die Polizeiwache, seufzte dann und schüttelte den Kopf. »Also gut.«
Cal lächelte, nahm Wills Rucksack und führte ihn zu der wartenden Kutsche. Dann hielt er ihm die Tür auf, und Will stieg ein, grollend, die Hände in den Taschen und mit gesenktem Kopf. Das Ganze gefiel ihm überhaupt nicht.
Als die Kutsche sich in Bewegung setzte, ließ Will seinen Blick über die karge Innenausstattung des Fuhrwerks wandern, das alles andere als bequem war. Die Sitze und die Seitenverkleidungen waren aus hartem, schwarz lackiertem Holz gefertigt, und die gesamte Kutsche roch nach Politur mit einem Hauch Reinigungsmittel,
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