Turils Reise
folgen mochten?
Ofenau begann sich unbehaglich zu fühlen. So rasch wie möglich verließ er HALB und ließ sich vom Zeremonienmantel zurück zur GELFAR transportieren. Es würde sicherlich einige Zeit dauern, bis er das Kautium unter Kontrolle hatte und sich bequemer transferieren konnte.
Ofenau betrat die Halle der Erinnerungen; jenen Raum, der so leer wirkte und dennoch so voll von Wissen, Ideen, Vorstellungen, Träumen und Fantasien war. Keiner der Kreavatare ließ sich blicken. Sie alle fürchteten sich vor den Veränderungen an Bord der GELFAR, sie vermochten die Ambitionen ihres neuen Herrn nicht einzuschätzen.
»Ich muss mit dir reden!«, rief er laut.
Eine formlose Gestalt schwebte herbei. Sie strahlte golden, und eine Wolke der Wehmut ging von ihr aus. »Wie hat es Kix Karambui aufgenommen?«, fragte Turil.
»So, wie du es einschätztest. Er ist sich seiner Macht bewusst, aber er fürchtet die Möglichkeiten der Schiffssphäre. Er ist sich seiner Sache nicht sicher.«
»Gut, gut. Das wird ihn für einige Zeit zurückhalten, Unsinn zu machen. Mit ein wenig Glück können wir Atem holen und uns vorbereiten auf die Dinge, die da kommen werden.«
»Glaubst du das wirklich?«
»Es ist weniger Glaube als Hoffnung.« Turil schwebte näher. Humanes-ähnliche Züge zeigten sich im Antlitz des Kreavatars. »Wir haben so viel zu erledigen …«
»Und du glaubst, wir schaffen es?«
»Hast du vergessen, dass ich keinen Schlaf mehr benötige?« So etwas wie ein Lachen ertönte. »Ich lerne, rund um die Uhr. Ich beginne zu verstehen. Ich spüre die GELFAR und ich weiß, wie man ihr beikommen kann. Solange du in regelmäßigen Abständen zu mir kommst, kann ich dich vor ihr schützen und verhindern, dass sie dich hintergeht. Irgendwann einmal wirst du ausreichend selbstständig sein, um alleine mit ihr fertigzuwerden. Und dann werden wir die Schiffssphäre dazu nutzen, den Kampf um Friedenshof Grau zu beenden; zur Zufriedenheit beider Seiten.«
»Obwohl du zeit deines Lebens benutzt und hintergangen wurdest, möchtest du den Totengräbern helfen?«
»Ich bin nun mal ein Produkt thanatologischer Erziehung. Außerdem bin ich neugierig. Es gibt nach wie vor so viele Ungereimtheiten in meinem Leben, die ich aufklären möchte.«
»Bist du … glücklich, Turil?«
»Ich hoffe, es einmal sein zu können. Wenn du mich jetzt bitte entschuldigst, Ofenau. Ich möchte nachdenken. Ruh dich aus. Morgen beginnen wir mit deiner Ausbildung. Du wirst einen formidablen Lenker abgeben.«
»Und wenn ich dich betrügen wollte? Warum bist du dir meiner so sicher? Ich könnte die GELFAR jederzeit verlassen.«
»Ich würde es zu verhindern wissen. Letztendlich bin ich der oder das Einzige, das zwischen dir und der Schiffssphäre steht. Nur ich kann die GELFAR zügeln.«
Ofenau blieb stumm. Er verließ leise die Halle der Erinnerungen, wusste aber nicht, über welche Fähigkeiten Turil der Kreavatar verfügte: ob er diesen Raum tatsächlich verlassen und die GELFAR beherrschen konnte und welche Pläne er wirklich verfolgte.
Unsicherheit würde Ofenau von nun an bei all seinen Schritten begleiten. Doch es hatte sich, so musste er sich eingestehen, nichts geändert. Er war und blieb das Werkzeug eines anderen, und die Situation würde sich noch weiter verschärfen, sobald Turil über alle Informationen hinsichtlich der Verpflanzung seines Bewusstseins in die freigebliebene Sparte von Ofenaus Gehirn verfügte.
Licht erwartete ihn am Ausgang der Halle. Sie warf ihm einen erwartungsvollen Blick zu, und Ofenau freute sich auf die kommende Ruheperiode.
Originalausgabe 10/2009
Redaktion: Rainer Michael Rahn
Copyright © 2009 by Michael Marcus Thurner
Copyright © 2009 dieser Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlagillustration: Dirk Schulz
eISBN : 978-3-641-03542-6
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