Turils Reise
kannst?«
»Nein. Selbst Queresma weiß nicht, wie sie reagieren werden, sobald er sich mit ihnen vereint.«
»Es besteht also die Möglichkeit, dass sich die Situation weiter verschlechtert, wenn er zu seinen Landsleuten zurückkehrt?«
»Ja. Aber der Versuch ist es wert …«
Sorollo sprang Turil an. So jäh, so überraschend, dass sie bereits über ihm war, bevor er auch nur seine Arme hochrei ßen konnte. Ihre Schläge kamen rasch und gut gezielt. Turil prallte mit voller Wucht gegen die Wand des Raums. Ein alter Urnenwurm, den er wie viele andere Relikte im Schiff verteilt hatte, kippte aus der Nischenfassung und zerschellte mit einem lauten Knall inmitten eines Ascheregens. Turil hörte ein Knacken in seinem Brustkörper, der Schmerz erreichte seine Sinne seltsam zeitverzögert. Ein Nebel aus Blut hüllte ihn ein; er musste eine Platzwunde an der Stirn erlitten haben. Im Lendenwirbelbereich machte sich Taubheit breit. Auch dort hatte ihn die völlig entfesselt kämpfende Xeniathin wirkungsvoll getroffen. Sie drosch mit beiden Beinen und Armen auf ihn ein, jeder Körperteil agierte völlig selbstständig, jeweils von einer anderen Sparte kontrolliert.
»GELFAR!«, ächzte Turil, während er Blut spuckte, »hilf mir!«
Die Schiffssphäre antwortete nicht, reagierte in keiner Weise. Darauf hatte Sorollo spekuliert. Die Xeniathin bot der GELFAR eine neuerliche und wohl die letzte Chance, sich aus Turils Griff zu befreien.
Neue Hiebe trafen ihn. Er fiel zu Boden, wie ein Stück Holz, beinahe wehrlos den Attacken der Frau ausgesetzt.
Sie kämpfte schmutzig, keinen Konventionen gehorchend; sie biss, kratzte, spuckte, trat, wollte ihm auf alle nur erdenkliche Arten Schmerzen zufügen und ihn gar nicht erst zum Atemholen kommen lassen. Turil blutete bereits aus einem guten Dutzend Wunden.
Lass mich ran!, forderte Queresma tief in ihm. Er strahlte Kraft und kalte Wut aus.
Nein!, wehrte sich Turil, so gut er noch konnte. Wenn er jetzt zurücksteckte und dem Marime die Gewalt über den gemeinsamen Körper zurückgab, würde er seine letzte Chance vertun, um …
Er achtete nicht mehr weiter auf die Schläge, auf die Schmerzen, auf die pausenlosen Angriffe der Xeniathin, und konzentrierte sich nur noch auf sich selbst. Sein linker Arm war wie gelähmt, am rechten waren mehrere Finger gebrochen. Das durfte ihn nicht hindern. Turil holte aus, mit aller Kraft, traf seine Gegnerin in der Seite. Sie stieß einen Schmerzschrei aus, hieb aber weiterhin auf ihn ein. Er schlug nochmals zu. Nochmals. Und nochmals. Er traf die Rippenbögen, immer wieder, und irgendwann einmal löste sich Sorollo von ihm. Sie sprang flugs hoch, laut Atem holend, vor Schmerz wimmernd.
Die Nachteile des Xeniathen-Konzepts offenbarten sich: Die Frau war kaum noch in der Lage, ihren Körper zu kontrollieren. In ihr tobte, gut erkennbar, ein heftiger Streit. Manche der Sparten wollten davonlaufen oder sich dem Schmerz hingeben, andere wollten den Kampf fortsetzen. Diese Widersprüche drohten Sorollos Leib auseinanderzureißen; dadurch war sie nicht mehr in der Lage, ihn mit derselben Verve zu attackieren wie noch wenige Momente zuvor.
Turil stemmte sich hoch. Er musste gehörig achtgeben,
wollte er nicht in seinem eigenen Blut ausrutschen und neuerlich zu Boden stürzen. Nichts an ihm fühlte sich mehr so an, wie es einmal gewesen war. Knochen ragten blank aus dem Fleisch, Finger standen in unnatürlicher Weise von den Händen ab, seine Bekleidung hing klebrig und schwer an ihm. Er spuckte einen Teil seiner Zahnleiste aus; ein Stück Fleisch kam ebenfalls zum Vorschein.
Nicht daran denken, nicht jetzt!, sagte sich Turil. Er humpelte auf Sorollo zu. Er pendelte mit den Schultern vor und zurück, vor und zurück, um mehr Schwung für den leblos gewordenen rechten Arm zu gewinnen, ließ ihn mit der letzten verbliebenen Kraft gegen das Gesicht der Frau prallen. Sie nahm den Schlag hin, nach wie vor im Streit ihrer Sparten gefangen. Turil legte nach, warf sich auf Sorollo, drängte sie gegen die Wand, fegte sie mit einer Beinschere von den Füßen. Queresma in ihm feuerte ihn an, fasziniert von der kühlen Wut, mit der er zu Werke ging. Turil warf sich mit vollem Gewicht auf seine Gegnerin, presste das letzte Quäntchen Luft aus ihrem Leib. Ihre Augen wollten schier aus den Höhlen quellen, doch sie brachte keinen weiteren Ton hervor. Er lag auf ihr, ließ sich durch ihr Zappeln und Zucken nicht mehr aus dem Konzept bringen.
Turil blickte zu Ofenau.
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