Turils Reise
sich dünne Membranbändchen zwischen den Zähnen auf.
»Es ist hier!«, meinte der Unbekannte. »Wo ist es?«
Was für eine seltsame, unsinnige Frage. »Ich weiß nicht, was du meinst …«
Sein Gegenüber zog einen Stab aus dem Hüftgürtel. Dünne Striemen hingen daran. Sie glänzten in der friedlichen Frühjahrssonne. Ein sirrendes Geräusch ertönte, als der Fremde den Stab hoch über seinen Kopf hob und die Fäden auf Zituyns rechtes Bein hinabfahren ließ.
Sein Körperholz zerbrach, zerbröckelte. Er stürzte seitwärts zu Boden. Dickes Harzblut drang aus der offenen
Wunde. Der Schmerz war so groß, so allgegenwärtig, dass er nicht einmal die Kraft fand zu schreien. Die Striemen der Peitsche waren energetisch geladen; sie hatten sein Bein zerschnitten, als bestünde es aus Trieblingsholz.
»Wo ist es?«, wiederholte der Pelzige.
Zituyn konnte nicht antworten. Er lag auf dem zertrümmerten Rumpf seines Beines, wollte einfach nicht glauben, was mit ihm geschah.
Ein weiterer Peitschenschlag. Mehrere seiner Astarme fielen vom Stamm, weiteres Harzblut drang aus den offenen Wunden. Zituyn wusste, dass er verloren war. Die Mitglieder seines Volkes waren zäh; es existierte kaum ein Raubtier oder eine Würgepflanze, die die Borke durchdringen und an das darunterliegende Fleisch gelangen konnten. Doch gab es eine offene Wunde, dann bedeutete selbst ein geringer Blutharzverlust das Ende, wenn es nicht gelang, die Wunde so rasch wie möglich zu verbinden.
»Wo ist es?«
Ein drittes Mal dieselbe sinnlose Frage. Der Fremde schien gar keine Antwort mehr zu erwarten. Er beugte sich zu Zituyn herab, tastete mit den feingliedrigen Fingern über die Kanten des offenen Faserfleischs - und drückte dann an den blankliegenden Nervenenden zu. Der Schmerz war unbegreiflich, raubte ihm schier den Verstand; er entleerte seine Körperflüssigkeiten in die Erde. Die finalen Wurzelkontraktionen setzten ein. Er krallte sich an Felsbrocken im Erdreich, um einen Halt in diesem Leben zu finden, um sich noch zu spüren.
»Wir werden es finden«, hörte er die Stimme seines Mörders, »wir werden es finden. Diesmal schon. Ganz sicher.«
Zituyns Sinne versagten allmählich, nur die Sehkraft
blieb ihm erhalten. Der Pelzige warf ihm einen letzten Blick zu, drehte sich dann um und ging zu jener Metallfläche zurück, aus der er gewachsen war. Er hatte jegliches Interesse an ihm verloren.
Wut wallte in Zituyn auf. Er bäumte sich auf, nährte sich an Kraftreserven, von denen er nicht einmal gewusst hatte, dass er sie besaß. So durfte es nicht zu Ende gehen, so nicht! Er zog den längsten ihm verbliebenen Wurzelarm aus der Erde, holte Schwung und ließ ihn auf den Rücken seines Gegners niederfahren. Das Fell des Pelzigen riss mit einem Knall, als hätte die Haut unter starker Spannung gestanden. Blut spritzte nach allen Richtungen; Gedärm, grün und faulig, glitt aus seiner Seite - und da war da dieser Flaschenkörper, der mit herausflutschte. Er war vergittert, und in ihm lagerte ein schrumpelig wirkendes Etwas. Ein Körperorgan.
Zituyn war nicht mehr in der Lage, die Dinge klar zu beurteilen. Er sah, aber er begriff nicht. Sein nahender Tod erschien ihm so … so … ungerecht, und er machte keinen Sinn. Was wollte dieses Geschöpf auf Domiendram? Warum tötete es grundlos, warum waren Teile seines Körpers wie eingelegte Früchte in Flaschen eingeschlossen?
Der Pelzige begutachtete die Wunde in seinem Leib. Seelenruhig, als ginge ihn die schwere Verletzung nichts an. Mit einem Ruck riss er die … Organflasche aus seinem Leib und verstaute sie in seinem Rucksack. Ein weiterer Blutstrahl, dunkel und dickflüssig, ergoss sich aus dem Körper, stockte aber bald und bildete eine dicke Kruste entlang des Rumpfs und des Oberschenkels.
Der Unbekannte atmete tief durch und wandte sich dann Zituyn zu. Mit einer blitzschnellen Bewegung packte er dessen sich windenden Astarm, riss ihn mühelos aus dem Hauptstamm und schleuderte ihn beiseite.
Der Schmerz erschien Zituyn gering. Er war lediglich eine weitere Woge in diesem Ozean aus Pein, in dem er dahintrieb. Viel schlimmer war die Übelkeit. Er wollte sich übergeben, besaß aber weder die Kraft noch den Willen dafür.
Die Furcht vor diesem unheimlichen Gegner besaß keine Gewalt mehr über ihn. Er sehnte die Ruhe herbei, das Versinken in der geliebten Krume. Sein Körper würde zu Dünger werden und der Erde zurückgeben, was er ihr über die Jahre hinweg entnommen hatte. Ein anderer
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