Turm der Hexer
niedrigen Speisesaal bildeten. Kohlebecken sorgten für Wärme, und Kerzen erhellten das Innere des rasch aufgebauten Saales zusätzlich zu der hellen Wintersonne, die durch die Fenster schien.
Sie verzehrten ein Mahl aus gebratenem Fleisch und leichtem Bier. Garion stellte schon bald fest, daß er viel zu viele Kleider trug. Er hatte das Gefühl, als wäre ihm schon seit Monaten nicht mehr warm gewesen, und die glühenden Kohlebecken verströmten eine willkommene Wärme. Obgleich er müde und sehr schmutzig war, fühlte er sich warm und geborgen und fand sich bald über seinem Teller einnickend, während Belgarath dem Algarierkönig die Geschichte ihrer Flucht erzählte.
Allmählich jedoch, während der alte Mann sprach, beunruhigte Garion etwas. Ihm schien eine Spur zuviel Lebhaftigkeit in der Stimme seines Großvaters zu liegen, und manchmal überschlugen sich Belgaraths Worte regelrecht. Seine blauen Augen strahlten sehr hell, wirkten aber gelegentlich etwas unkonzentriert.
»So ist Zedar also entkommen«, sagte Cho-Hag gerade. »Das ist der einzige Schönheitsfehler in der ganzen Geschichte.«
»Zedar ist kein Problem«, entgegnete Belgarath und lächelte etwas verschwommen.
Seine Stimme klang seltsam unsicher, und König Cho-Hag betrachtete den alten Mann aufmerksam. »Du hattest ein sehr arbeitsreiches Jahr, Belgarath.«
»Aber auch ein gutes.« Der Zauberer lächelte wieder und hob dann seinen Bierkrug. Seine Hand zitterte heftig, und er starrte sie erstaunt an.
»Tante Pol!« rief Garion drängend.
»Geht es dir gut, Vater?«
»Gut, Pol, sehr gut.« Er lächelte sie unbestimmt an, seine Augen blinzelten eulenhaft. Plötzlich stand er auf und ging auf sie zu, aber seine Schritte waren schleppend, fast taumelnd. Dann rollten seine Augäpfel nach oben, und er fiel wie vom Blitz getroffen zu Boden.
»Vater!« rief Tante Pol und stürzte an seine Seite.
Garion, der fast so schnell war wie seine Tante, kniete auf der anderen Seite des bewußtlosen alten Mannes nieder. »Was hat er denn?« fragte er.
Aber Tante Pol antwortete nicht. Ihre Hände lagen an Belgaraths Handgelenk und Schläfe, um ihm den Puls zu fühlen. Sie hob eines seiner Augenlider und sah angespannt in die leeren blicklosen Augen.
»Durnik!« rief sie. »Meine Kräutertasche schnell!« Der Schmied schoß aus der Tür.
König Cho-Hag hatte sich halb erhoben. Sein Gesicht war leichenblaß. »Er ist doch noch…«
»Nein«, antwortete sie knapp. »Er lebt. Noch.«
»Greift ihn jemand an?« Silk war auf den Füßen, blickte wild um sich, die Hand unbewußt an seinen Dolch gelegt.
»Nein. So etwas ist es nicht.« Tante Pols Hände wanderten zur Brust des alten Mannes. »Ich hätte es wissen müssen«, machte sie sich Vorwürfe. »Der sture, stolze alte Narr! Ich hätte auf ihn achtgeben müssen.«
»Bitte, Tante Pol«, flehte Garion verzweifelt, »was fehlt ihm denn?«
»Er hat sich nie richtig von seinem Kampf mit Ctuchik erholt«, antwortete sie. »Er hat sich gezwungen, mit Hilfe seines Willens. Dann diese Steine in der Schlucht aber er wollte nicht aufgeben. Jetzt hat er all seine Lebenskraft und seinen Willen ausgebrannt. Er hat kaum noch genug Kraft zum Atmen.«
Garion hatte den Kopf seines Großvaters angehoben und in seinen Schoß gebettet.
»Hilf mir, Garion!«
Er wußte instinktiv, was sie wollte. Er sammelte seinen Willen und streckte ihr seine Hand entgegen. Sie ergriff sie rasch, und er fühlte die Kraft aus sich strömen.
Ihre Augen waren weit geöffnet, während sie angespannt das Gesicht des alten Mannes beobachtete. »Noch einmal!« Und noch einmal zog sie seinen schnell gesammelten Willen aus ihm heraus.
»Was tun wir?« Garions Stimme klang schrill.
»Wir versuchen, etwas von dem zu ersetzen, was er verloren hat. Vielleicht…« Sie warf einen Blick zur Tür. »Beeil dich, Durnik!« rief sie.
Durnik kam in den Wagen zurückgehastet.
»Öffne die Tasche«, wies sie ihn an, »und gib mir die schwarze Dose die bleiversiegelte und eine eiserne Zange.«
»Soll ich die Dose öffnen, Herrin Pol?« fragte der Schmied.
»Nein. Brich nur das Siegel aber vorsichtig. Und gib mir einen Handschuh aus Leder, wenn du einen finden kannst.«
Wortlos zog Silk einen Lederhandschuh unter seinem Gürtel hervor und reichte ihn ihr. Sie streifte ihn über, öffnete die schwarze Dose und griff mit der Zange hinein. Mit großer Vorsicht nahm sie ein einziges, öliges grünes Blatt heraus. Sehr behutsam hielt sie es mit der Zange.
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