Turner 01 - Dunkle Schuld
eine Siedlung aus kleinen, einfachen Häusern, die einmal zum Army-Stützpunkt gehört hatten. Von Lastwagen aus wurden am Straßenrand Pekannüsse, Wassermelonen und Pfirsiche zum Verkauf angeboten. Der Duft von Feigen und Geißblatt hing überall in der Luft.
Ich stand ein paar Schritte hinter Sally Gene, als sie anklopfte. Wir sollten uns bei solchen Einsätzen eher im Hintergrund halten. Billy blieb beim Auto. Ich hatte mich bereits umgesehen. Entlang der Westseite des Hauses war ein Gemüsebeet unter einer doppelten Wäscheleine angelegt. Okras, Tomaten und grüne Paprika, alles mangels Pflege ziemlich verwelkt. Kein Auto in der Einfahrt, die vorhandenen Ölflecken waren schon alt. Vier oder fünf Ausgaben des Press-Scimitar lagen zusammengerollt und ungelesen am Ende der Einfahrt, eine weitere in der Nähe der Eingangstür und noch eine im Vorgarten.
Die Tür öffnete sich. Aus dem Inneren drang das eintönigmonotone
Gebrabbel des Fernsehers zu uns heraus. Eine Zeichentrickserie vielleicht oder eine Seifenoper. Aber dann hörte ich: »Willa Carter hat auf ihre unnachahmliche Art versucht …« Ich sah, wie sich Sally Genes Kopf nach vorn beugte und dann nach unten, als die Tür sich öffnete. Ein Kindergesicht starrte zu uns hoch. Vielleicht zwölf. Er trug ein gelbes Nylonhemd, in das er erst in vier bis fünf Jahren reingewachsen sein würde, und hatte einen ernsten Gesichtsausdruck.
»Daddy hat gesagt, ich soll niemanden reinlassen.«
Sally Gene stellte sich vor.
»Daddy hat gesagt, ich soll niemanden reinlassen.«
»Meinen Namen habe ich dir jetzt gesagt. Verrätst du mir auch deinen?«
»William.« »William. Es tut mir leid, denn das ist bestimmt alles sehr verwirrend für dich, und ich sage auch nicht, dass dein Daddy Unrecht hatte, absolut nicht. Aber ich muss reinkommen. Hey: Ich würde auch lieber zu Hause sein und Fernsehen gucken. Aber die Leute, für die ich arbeite, haben mir gesagt, ich soll reinkommen und mich umsehen. Sie sind ein bisschen so wie deine Eltern, weißt du? Sagen mir immer, was ich tun muss.«
Ein kurzes Flackern in seinen Augen, als sein Blick mich streifte, aber ich sah es. Er suchte nach einem Ausweg.
»Wie geht’s, William?«, sagte ich. »Nennen deine Freunde dich Bill?«
Kurz darauf schüttelte er den Kopf.
»Hast du Hunger, William?«
Wieder ging sein Kopf nach rechts, links, rechts. »Ich hab
Frühstück gemacht. Ich weiß, wie man kocht. Ich hab auch ganz viele Anziehsachen im Wäschetrockner. Muss ich nur noch rausholen.«
»Sind deine Eltern zu Hause, William?«
»Sie sind bald zurück.«
»Wie lange sind sie schon weg, William?«
Er sah mich einfach nur an. Es war mehr, als er bewältigen konnte, denke ich. Wie so viele Dinge in seinem Leben.
»Miss Sally Gene und ich müssen reinkommen. Sieh mal: das hier ist meine Dienstmarke. Die nimmst du, bis ich fertig bin und wieder gehe. Das sollte doch okay sein, oder?«
Nach einer Weile nickte er und machte die Kette los.
In einem Schlafzimmer fanden wir ein vierjähriges Mädchen, eingesperrt in einen Wandschrank. Sie hatte ihre Notdurft sehr sorgfältig ausschließlich in die hinterste Ecke bei den Stiefeln und alten Schuhen verrichtet, aber Urin war überall, den hatte sie nicht unter Kontrolle. Auf einem Teller bei der Tür lagen Frankfurter Würstchen und einige Scheiben Käse.
Im Badezimmer war ein kleineres Kind mit schwerem Durchfall, vielleicht zwei oder drei Jahre alt, mit brauner Schnur an den Wasserhahn der Badewanne festgebunden. Ein Pfadfinder-Handbuch lag auf dem Toilettendeckel, mit einem gefalteten Stück Klopapier im Kapitel »Knoten«. Gläser mit Apfelmus und Erdnussbutter und einige Plastiklöffel lagen in Reichweite.
In einem hinteren Schlafzimmer mit Doppelbetten links, rechts und geradeaus saßen Kinder unterschiedlichen Alters, sechs insgesamt, wie kleine Soldaten aufrecht herum. Ihre Augen wandten sich uns zu, als wir den Raum betraten.
Teller mit kaltem Fleisch und Oreo-Keksen standen auf der Fensterbank.
»Ich hatte ja keine Ahnung«, meinte Sally Gene zu mir.
»Aber du musst doch was gewusst haben.«
»Oh, ich wusste, dass etwas nicht in Ordnung war. Aber das hier jetzt …«
»Eine Pflegefamilie?«
»Eine der wenigen, über die es nie Beschwerden gab. Keinerlei Probleme.«
»Ich hab eine Kreditkarte in der Schreibtischschublade gefunden.« William stand hinter uns in der Tür. »Wir hatten lange kein richtiges Essen mehr.«
»Eine Visa-Karte«, sagte Sally Gene zu
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