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Turner 01 - Dunkle Schuld

Turner 01 - Dunkle Schuld

Titel: Turner 01 - Dunkle Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
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nachgeprüft, und da, wo Sidney hingegangen ist, wäre ein guter Ort. Sie passen da gut auf sie auf, sagt Cissie. Jemand wird ihr deinen Brief vorlesen. Ich hoffe, sie weiß noch, wer ich bin. Es ist schon so lange her. Das verstehst du doch, oder, sagt Cissie. Sie wurde so, dass man mehr auf sie aufpassen musste, und ihre Mami, ihr Daddy und ihre Familie haben das nicht mehr geschafft. Klar verstand ich das. Ich hab’s ja kommen sehen. Ich erinnere mich sogar daran, wie ich mich gefragt hab, ob mir das auch passieren kann, ob ich vielleicht irgendwann auch so werde, verlorengehe, so wie Sidney, und dann auch weggehen muss.

    Haferflocken zum Frühstück. Speck, Kopfsalat und Tomaten mit viel Mayonnaise zum Mittag. Der Rest vom Hackbraten, Kohl, geröstete Süßkartoffeln und Eistee zum Abendessen. Ein guter Tag. Ich habe sogar einen Brief bekommen! Von einem Brieffreund aus Finnland. Ich habe seinen Namen hinten in einer alten Zeitschrift gefunden. Er war vierzehn, als er die Anzeige aufgegeben hat, und er ist ganz erstaunt, dass mein Brief ihn dann doch irgendwann erreicht hat. Er wurde ihm über drei Adressen nachgesandt. Er ist jetzt Geschichtsprofessor an der Universität, hat eine Frau und zwei Töchter. Finnland scheint viel Ähnlichkeit mit Minnesota zu haben.

    Die Sozialarbeiterin, auf die wir gewartet haben, kam heute Morgen, genau wie in A Thousand Clowns . Auf ihrem dunkelblauen Pulli war vorne lauter weißes Zeugs, und auf dem Rücken waren lange Haare, ihre eigenen und die von ihrer Katze, glaube ich, und sie roch nach saurer Milch. Hinterher haben Daddy und sie sich in der Küche ausgesprochen. Ich habe ihr die Tür aufgemacht und sie beobachtet, als sie davonhoppelte, und habe gedacht, sie sieht genauso aus wie Piper Laurie in Haie der Großstadt , bis hin zum Humpeln. Das Humpeln ist so was wie ein Abzeichen, glaube ich. Vielleicht bekommen sie das sogar in der Sozialarbeiter-Schule beigebracht. ICH BIN EINER VON EUCH.

    Jack Finneys Buch war eine Enttäuschung nach Die Dämonischen . Andererseits war Evan Hunters Roman Saat der Gewalt viel besser als der Film - wirklich überhaupt kein Vergleich. Direkt daneben im Regal stand Streets of Gold , also habe ich das auch noch mitgenommen, und es ist mein neuer Favorit. Ich habe es bis jetzt schon ein halbes Dutzend Mal gelesen. Der Autor schreibt unter Evan Hunter und Ed McBain, aber keiner davon ist sein richtiger Name, denn der ist Salvatore Albert Lombino. Er hat auch das Drehbuch für Die Vögel geschrieben. Aus O’Haras Roman Telefon Butterfield 8 wurde ich genauso wenig schlau wie aus dem Film.

    Ganze Seiten waren gefüllt mit eingeklebten Quittungen für Zeitschriften und Taschenbücher, Mittagessen bei McDo nald’s, der Good Eats Cafeteria und Poncho’s; Busfahrkarten; Barzahlungs-Quittungen für Schreibtafeln sowie Sportsocken, Bonbons und Frühstücksflocken; Verse und gekrakelte Unterschriften, ausgeschnitten aus Grußkarten; schließlich zerknitterte Einträge, die aus der Fernsehzeitung TV Guides ausgerissen waren.
    »Sind Sie da auf irgendwas gestoßen?«, fragte Don Lee, baggerte mich heraus, gerettet. Ich war wortwörtlich nicht mehr in dieser Welt, war in Carl Hazelwoods Schuhe geschlüpft, eine Welt, die weit mehr Sinn ergab als unsere eigene. Ich war dort natürlich nur ein Besucher, ein Tourist, weiter nichts. Selten genug für uns, wenigstens das hinzubekommen. Aber ich war schon ein alter Hase darin, von drinnen durch die Fenster anderer zu sehen. In gewisser Hinsicht war das der Weg, wie ich das Gefängnis überlebt hatte. Wichtiger noch, es ist das, was mich zu einem erfolgreichen Therapeuten gemacht hat. Und warum ich aufgehört habe.
    Ich stand auf, schüttete die Kaffeereste der letzten Nacht weg, schrubbte den Filter und die Kanne, fand eine Filtertüte und setzte neuen Kaffee auf.
    »Wenn Sie jemals Vollzeit hier anfangen wollen, haben Sie meine Stimme«, sagte Don Lee.
    »Mein gegrilltes Käsetoast ist auch Spitze.«
    Er seufzte dramatisch.
    Adrienne nahm nach dem vierten Klingeln den Hörer ab und atmete schwer.
    »Turner«, sagte ich. »Ich hoffe, ich rufe nicht zu früh an.«
    »Überhaupt nicht. Wir sind kurze Nächte gewohnt. Dad
versucht immer so lange stillzuhalten, wie er kann, um uns nicht zu stören, aber er schläft nicht viel. Höchstens drei oder vier Stunden. An guten Tagen schafft er es, bei Tagesanbruch noch mal einzuschlafen.«
    Die Kaffeemaschine blubberte. Ein aufgemotzter Pick-up mit fetten

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