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Turner 01 - Dunkle Schuld

Turner 01 - Dunkle Schuld

Titel: Turner 01 - Dunkle Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
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hielt, und als sie sich an den Empfangstresen setzte, begriff ich auch, wieso. Ein dickes Veilchen zierte das linke Auge.
    »Hatte Carl besondere Vorlieben? Filme, Schauspieler, Regisseure?«
    »Sie wissen, dass er wie ein Gelehrter war, oder? Wo immer seine Aufmerksamkeit hinfiel, ließ sie sich dort ganz und gar nieder. Er war wie ein Schwamm, der nur ganz bestimmte Flüssigkeiten aufsaugte. Ich erinnere mich an einen Tag, als wir in der Küche saßen, uns unterhielten und dieses Lied im Radio kam, ›You Better Move On‹. Eine Woche später erzählte er mir alles über diesen obskuren Sänger namens Arthur Alexander, seine Handvoll Hits und seinen Comeback-Versuch mit einem Album voller autobiografischer Songs. Gott allein weiß, wie oder wo er diesen ganzen Kram herausgefunden hat.«
    »Dasselbe mit Filmen, nehme ich an.«
    »Genau. Er konnte stundenlang darüber reden, welches Studio sie herausgebracht hat, wo sie gedreht worden waren, wer die Geschichte und das Drehbuch geschrieben hatte und wie sie diese oder jene Szene aufgebaut hatten. Er konnte ganze Teile von Dialogen rezitieren, was Robert Mitchum oder Brian Keith in Die letzte Fahrt nach Memphis oder wo auch immer, gesagt hatten. ›Kugel durch die
Brust, Ma’am, reine Routine‹, war einer seiner Favoriten. Richard Carlson betete er förmlich an.«
    Sie unterbrach sich, sagte, wahrscheinlich zu Adrienne, » Bitte «, und dann zu mir: »Hier haben wir also einen Mann, der keine neumodischen Dinge wie Kaffeemaschinen benutzte, der auf die andere Seite des Raumes ging, um die Mikrowelle zu meiden, genauso oft auf dem Boden schlief wie nicht, Klamotten trug, bis sie ihm vom Leibe fielen, und panisch vor klingelnden Telefonen wegrannte. Aber Filme konnte er nicht aufgeben. Als er dieses letzte Mal verschwand und wir auf der Suche nach irgendeinem Anhaltspunkt waren, was vielleicht passiert sein könnte, sind wir auf diese Stapel von Büchern gestoßen, sicher Hundert von ihnen, hinter Dosen mit Valvoline und Handwaschpaste, die aussieht, als wäre es grauer Kitt. Bücher mit Titeln wie Forgotton Horrors, Truly Strange Movies, Grindhouse Fare. Sie stammten aus Büchereien aus dem ganzen Mittleren Westen. Cedar Rapids und Iowa City, Dubuque, Chicago, Minneapolis, Cincinnati.«
    »Ausgeliehen?«
    »Befreit. Man könnte auch sagen: geklaut. Er hatte keine Ausweise, konnte keine bekommen.«
    »Also ist er all diese Male nicht einfach nur so ziellos davongewandert. Jedenfalls nicht immer. Er ist zielstrebig rausgegangen in die weite Welt, um diese Bücher zu finden und mit hierherzubringen.«
    »Sein Schatz. Entschuldigen Sie mich einen Augenblick, Mr. Turner.«
    Der Hörer fiel mit einem dumpfen Geräusch auf etwas, von dem ich annahm, dass es eine Schreibtischplatte aus
Pressspan war. Kurz hörte ich, wie sich Schritte entfernten, dann für eine Weile gar nichts, und schließlich war sie zurück.
    »Verzeihen Sie bitte. Ich fürchte, meinem Vater geht es heute Morgen nicht so besonders. Sagen Sie mir eines: Falls es notwendig werden sollte, in welches Krankenhaus sollten wir ihn bringen?«
    Ich drückte meine Anteilnahme aus und sagte ihr, es gäbe ein Kreiskrankenhaus, etwas weniger als eine Stunde entfernt an der Interstate. Aber falls es ernster wäre, sollte sie besser nach Memphis oder Little Rock fahren.
    »Nur für alle Fälle«, meinte Miss Hazelwood. »So weit sind wir noch nicht. … Was?« Pause. »Und wir gehen auch nicht davon aus, dass es so weit kommt, soll ich Ihnen von Adrienne ausrichten.«
    »Das ist gut.«
    Don Lee hielt seine Tasse hoch. Mehr? Ich schüttelte den Kopf. Kurz begegneten sich Junes und mein Blick. Sie schaute zu Boden.
    »Aber wer oder was«, fragte ich Sarah Hazelwood, »ist BR?«
    »Keine Ahnung, fürchte ich.«
    »Okay, danke für Ihre kostbare Zeit. Und hören Sie, falls es Ihrem Vater …«
    »Sollten wir etwas brauchen, verspreche ich, rufe ich an.«
    Don Lee trank den letzten Schluck Kaffee im Aufstehen, reckte sich und machte sich auf den Weg zur nachmittäglichen Rundfahrt. June und ich saßen da und sahen einander an. Wir hörten, wie die Tür des Streifenwagens ins Schloss fiel, der Motor angelassen wurde und ansprang.
Dann das leise Jaulen der Gänge, als Don Lee zurücksetzte. Das Funkgerät knackte.
    »Möchten Sie mit mir darüber reden?«, fragte ich.
    »Nicht wirklich«, antwortete sie.

Kapitel Zweiundzwanzig
    So gottverdammt allein und verloren. Nicht meine Worte, sondern die meines Zellengenossen

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