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Turner 01 - Dunkle Schuld

Turner 01 - Dunkle Schuld

Titel: Turner 01 - Dunkle Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
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uns gemacht hat. So lange du’s untermauern kannst, bist du hier genau das, was du sagst. Und jetzt schläfst du besser’ne Runde. Schlaf is so ziemlich der einzige Freund, den du hier hast.« Er rollte sich zur Seite und atmete tief ein. »Bis auf mich.« Und im Handumdrehen war er eingeschlafen und schnarchte.
    In dieser Kiste, die dein Zuhause und dein zweiter Körper geworden ist, erhält jeder noch so kleine Laut ein übertriebenes Gewicht. Das Entlangstreifen des Wärterknüppels über die Gitterstangen, der rasselnde Atem des Mannes auf der Pritsche unter dir, Unterhaltungen, die sich aus den Nachbarzellen oder dem gegenüberliegenden Trakt einschleichen, ein Husten, das von Wand zu Wand prallt.
    Mit einem Geräusch, das sich anhört wie der erste Versuch eines Anfängers, auf einem Waldhorn zu blasen, lässt jemand einen fahren, und ein anderer lacht. Stimmen laufen im Zickzack als Antwort durch den Zellentrakt.
    »Okay, wer hat Parfüm an Bord geschmuggelt?«
    »Der hat doch nur seinem Schätzchen Blumen geschickt, das is alles.«
    »Eher ein großes Bu-käi stinkendes Acker-Hellerkraut.«
    »Paar Brüder stehen auf dieses braune Parfüm.«
    »Red da drüben nich über keine Brüder nich, Junge.«
    »Jaussör!«
    »Ich hab so was wie große Brüder gemeint.«

    »Klar doch, Mann.«
    »Warum haltet ihr nicht endlich alle die Schnauze und schlaft.«
    Das sagte jeden Abend genau dieselbe Stimme, und das war’s auch, was daraufhin passierte.
    Drei Zellwände, dann eine weitere Wand. Wenn du dir vorstellst, dass du die eine Wand hinter dir lässt, dann kommt noch eine und noch eine. Da drinnen leben wir, in den Höhlen und Kriechritzen, wie die Ratten. Die Wände sind das, was wichtig ist. Wir sind nicht wichtig, obwohl die Wände allein unseretwegen hier sind.
    »Kannst noch’n Löffel Raufutter für meinen Freund hier draufleg’n«, sagte Adrian am nächsten Tag bei der Essensausgabe, »der Junge is neu hier.« Ein weiterer Löffel matschiger Kohl wurde auf meinen Teller geklatscht. »Guter Mann«, sagte er zu dem Häftling, der das Essen austeilte. »Ich werd bei Gelegenheit an dich denken.«
    »Geh weiter«, sagte der Mann. »Verpiss dich, und wenn du schon dabei bist, kratz auch gleich ab.« Er hatte die Haare aufgetürmt zu einer zwanzig Zentimeter dicken Matte, die Ärmel hochgekrempelt über Oberarmen wie Pferdeschenkel, darauf eine selbst gemachte Tätowierung, vielleicht ein Skorpion.
    Damals sah ich es zum ersten Mal. Adrian wurde totenstill, sein Gesicht so ausdruckslos wie die Wände um uns herum.
    »Hast du mir noch was zu sagen, Tattoo-Mann?«
    Die Augen des Essensausteilers begegneten kurz denen von Adrian. Dann bewegten sie sich suchend umher, wie ein Fischer sein Netz. Dass er die Herrschaft über Kartoffelpüree
und Limabohnen hatte, würde ihm nicht viel nützen. Nichts half. Nicht mal sein Tattoo.
    »’tschuldigung«, sagte der Essensausteiler kleinlaut. »War ein Scheißtag heute. Kennst du doch auch.«
    »Sind sie’s nicht alle?«
    Wir bewegten uns mit der Reihe weiter.
    »Die Arschlöcher nennen sich selber Bruderschaft.«
    »Du meinst Rechtsextreme?«
    Er nickte. »Schätze, die werd’n schon bald Kontakt mit dir aufneh’m.«
    »Verdammt«, sagte ich und versuchte mein Bestes, so zu klingen wie Adrian. »Hier drinnen gibt’s Abschaum von jeder Sorte, was?«
    Er lachte. »Das kannst du laut sagen.«
    Ein paar Wochen später kamen sie auf mich zu. An dem Tag, als ich zum Dienst in der Wäscherei eingeteilt war, tauchten plötzlich zwei von ihnen hinter den Trocknern auf.
    »Du und der große Nigger, ihr kommt gut miteinander klar?«, fragte der eine. Er musste brüllen, damit man ihn gegen den Lärm der Trockner hörte. Beim Freigang im Hof hatte ich aufgeschnappt, dass er ein gewisser Billy D war. Trotz seiner gerade mal eins fünfzig sah er aus wie Stahlseile, die zu einer menschlichen Gestalt geflochten waren. Mit aufgerissenen Hemdsärmeln, damit seine massigen Oberarme genug Platz hatten.
    In einer solchen Situation kann man sagen, was man will, es macht doch alles nur noch schlimmer. Also hielt ich den Mund, stand einfach nur da und wartete ab. Schaute, was passieren würde. Vier oder fünf weitere, von denen ich annahm, dass sie ebenfalls eingeschworene Mitglieder der
Bruderschaft waren, schlurften auf ihre Plätze. Zwei hinter Billy D, zwei oder drei hinter mich.
    »Du bist ein Weißer, Turner. Du bist einer von uns.«
    Ich beobachtete ihn, wartete, dass er das Gewicht

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