Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Turner 01 - Dunkle Schuld

Turner 01 - Dunkle Schuld

Titel: Turner 01 - Dunkle Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
Vom Netzwerk:
erkannte ich, dass er ganz und gar nicht klein war, nur völlig in sich zusammengezogen, so dass er den entsprechenden Eindruck erweckte. Er hatte Kopfhörer aufgehabt, die heruntergezogen wurden, als er selbstvergessen zur Tür ging und, wie die Dinge lagen, damit ans Ende der Kabellänge kam. Er schaute zu dem Kopfhörer zurück, der jetzt träge etwa einen Meter hinter ihm auf dem Boden lag. Zweitagebart, chronisch unbändiges Haar, abgewetzte Halbschuhe, ausgebeulte Khakihose mit ausgefranstem Aufschlag, schwarzes T-Shirt. Darüber eine Jägerweste mit zahlreichen Taschen.
    Nach allem, was ich erkennen konnte, zwei Zimmer, vielleicht noch ein drittes dahinter? Fensterläden geschlossen, Gardinen vorgezogen. Das Ganze schien von einer einzigen 40-Watt-Glühbirne beleuchtet zu werden.
    »Sind Sie Turner? Kommen Sie rein.«
    Er zeigte mir seinen Rücken, als er, ja, in einen dritten Raum trippelte und dann mit einer Platte zurückkehrte, von der er die Plastikfolie abzog. Karottenschnitze, gebogen wie die Zehennägel alter Männer, Käsewürfel, auf denen sich Kondensat niedergeschlagen hatte. Ich hatte den starken Eindruck, mein Gastgeber empfing nicht häufig Gäste und stand auf Recycling.
    Nachdem er die Leckereien abgeliefert hatte, bückte er sich, um den Kopfhörer aufzuheben und auf einen Tisch neben einem klapprigen Ruhesessel zu legen.

    »Ich habe mir gerade ein Bier aufgemacht«, sagte er zu mir und hob eine Dose Ballantine Ale hoch. Als er den Kopf zurücklegte und dann feststellen musste, dass die Dose leer war, machte er ein verdutztes Gesicht, genau wie vorhin mit den Kopfhörern. »Vielleicht ist das auch schon eine Weile her, wenn ich’s mir jetzt so überlege. Trinken Sie eins mit?«
    »Klar.«
    Wieder mit dem Rücken zu mir wie ein Käfer, verschwand er aus dem Zimmer. Eine haarlose Katze materialisierte vor meinen Füßen, warf sich dann in einer ausgeklügelten Schulterrolle auf den Boden. In einem Fernseher in einer Ecke lief ohne Ton ein alter Schwarzweiß-Film. Lange Einstellungen in Rückprojektion von Streifenwagen, die über eine Autobahn fuhren. Arizona? New Mexico?
    Mein ungewohnter Gastgeber stand in der Tür, ein Bier in jeder Hand. Sein Name war Mel Goldman. Er lebte von Romanfassungen drittklassiger Kinofilme und Fernsehserien. Das halbe Dutzend Taschenbücher, das er für eine Serie über Teenagerkrisen in L.A. (draußen im Gelobten Land kann das Leben die reinste Hölle sein!) geschrieben hatte, verkaufte sich ganz ordentlich in den Staaten, aber in Deutschland waren sie der absolute Renner. Der Verlag holte ihn rüber, große landesweite Illustrierte interviewten ihn. Fast hätte ich mir vor Angst in die Hose geschissen, umschrieb er bei seiner Rückkehr seine Erfahrung. Diese Leute mussten doch wissen, dass ich Jude bin, oder nicht?
    »Die Aliens sind gelandet«, sagte Goldman zu mir. »Der Sohn des Sheriffs hat sie gesehen, aber niemand glaubt ihm. Er ist so ein verträumter Junge. Die erste Folge ist wirklich erstaunlich - die fließt geradezu. Sie erschafft die
ganze Stadt, diese Atmosphäre aus Misstrauen und Angst. Dann wird all das über Bord gekippt, und die ganze Sache entwickelt sich in eine einzige, lange, dumme Verfolgungsjagd. So ein Ding, da würde ein Mann lieber seine Socken fressen, um sich so was nicht ansehen zu müssen.«
    Ich gab mir die größte Mühe, nicht auf seine Füße zu blicken.
    Er reichte mir ein Bier und fragte, was er für mich tun könne. Wir saßen da und schauten zu, wie ein 52er Dodge mit einem grünen Plastikschirm über der Windschutzscheibe, der an den Schirm der Mütze eines Kartengebers erinnerte, ins Schlingern geriet und von der Straße abkam, als ein großer, merkwürdig gebückt gehender Mann unmittelbar vor dem Auto auf die Fahrbahn trat.
    »Am Telefon sagten Sie etwas von einem Mord. Ich sehe allerdings im Moment noch nicht so ganz, wie ich Ihnen bei so etwas behilflich sein könnte.«
    Ich gab ihm die Kurzfassung: Mein Fall und Carl Hazelwoods Tod in fünfzig Worten, trocken wie eine wissenschaftliche Abhandlung. Wie Notizen, die man sich über seine Klienten für die Akten macht. »Ich weiß nicht, wonach ich suche«, sagte ich. »Aber ich habe Carls Tagebuch gelesen. Bei vielem darin ging es um alte Filme.«
    »Science-Fiction, Gangster, Gefängnisgeschichten - so etwas?«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Was sollte es sonst sein?« Er verfolgte, wie der große, gebückte Mann in einer Höhle versteckt zwischen Bäumen verschwand.

Weitere Kostenlose Bücher