Turner 01 - Dunkle Schuld

Titel: Turner 01 - Dunkle Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis

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ihr Ding durch. Velmas Junge sah aus wie das, was von einem Schlachterblock runtergeworfen wird, wenn alles, was entfernt nützlich war, weggehackt worden ist.
    »Zwei gewaltsame Todesfälle, seit Sie hier aufgetaucht sind«, sagte Lonnie Bates. »Passieren solche Sachen überall, wo Sie sind?«
    »Könnte ganz so aussehen, schätze ich.« Für mich war’s manchmal so.
    Wir standen mit Doc Oldham neben der Leiche. In dem englischen Wort für Leiche, in cadaver, finden sich die zwei Worte cave und cad, Höhle und Lümmel. Darüber sinnierte ich. Ich dachte, wie fragil unser Leben doch ist, wie dünn der Faden, mit dem wir an diese Welt gebunden sind. Man geht los, um sich die Sonntagszeitung zu holen, und auf dem Rückweg, einen halben Block von zu Hause entfernt, wird man von einem Lieferwagen überfahren. Irgendwelche Viren siedeln sich illegal in unserem Körper an, erheben Anspruch auf ihre neue Heimat und lassen sich nicht mehr rausschmeißen. Erstaunlich, dass es überhaupt einer von uns schafft, am Leben zu bleiben.
    »Lonnie, verdammt, ich muss mich um meine Leute kümmern. Um lebendige Menschen. Für den armen Hund hier kann ich nichts mehr tun, oder?«

    »Das County bezahlt dich, Doc.«
    »In jedem Dorf muss es einen Vollidioten geben.« Er trug gute Kleidung, einen braunen Anzug von Brooks Brothers, ein blaues Leinenhemd, sorgfältig gebundene Krawatte - doch alles so fleckig und ausgebeult, dass es bei einer Kleidersammlung der Heilsarmee sofort aussortiert worden wäre. Ein halber Becher Kaffee verschwand mit einem einzigen Schluck. Auf dem Becher das Bild einer nackten Frau. Wenn man eine heiße Flüssigkeit einfüllte, verschwand ihr Fleisch, und ein Skelett wurde sichtbar. Mit Abkühlen des Inhalts kehrte das Fleisch zurück. Im Moment waren ihre Formen so halbwegs wieder zu erkennen. »Noch ein Dutzend weitere Leichen, und ich schaff’s vielleicht sogar, in diesem Monat die Rate für mein Auto zusammenzukriegen, wer weiß?«
    »Was kannst du mir sagen?«, fragte Bates.
    »Hühner haben ihn angefressen.«
    »Was für ein Segen, dass wir dich haben. All die vielen Jahre des Studiums, all diese Sachkenntnis. Wo wären wir, wenn wir das alles nicht hätten?«
    Doc Oldham zuckte die Achseln. »Wenn ich nicht hier wäre, was würde es mich dann überhaupt interessieren? Scheiße, es interessiert mich auch jetzt nicht. Geht’s Velma gut?«
    »Don Lee ist bei ihr. Eine Nichte aus Clarksdale ist auf dem Weg hierher. Andere Angehörige hat sie nicht mehr.«
    »Igor!«
    Ein älterer Schwarzer, der wie ein Eisenbahnschaffner aus den Fünfzigern aussah, tauchte auf, um die Bahre und die Überreste des Körpers abzuholen und fortzubringen.
Doc Oldham folgte ihm. Häufig benutzte Türen aus rostfreiem Stahl schwangen hinter ihnen zu.
    Wir traten in die drückende Hitze hinaus, der frühmorgendliche Regen tropfte von Bäumen und Dachvorsprüngen und floss vom Gehweg.
    »Wie sieht Ihr Tag heute sonst noch aus?«, erkundigte sich Bates.
    »Vorausgesetzt, Sie haben keine anderen Pläne für mich, sieht alles nach einer Fahrt in die Stadt aus.«
    Ich hatte mit Val gesprochen und den Namen eines Burschen erhalten, der über Filme schrieb und Filmwissenschaften an der Universität lehrte. Seine Bücher trugen Titel wie Rockerbräute und Fünfzehn-Meter-Tussen , Klamottenmangel , Skateboard-Cowboys . Er hatte ein ganzes Buch geschrieben, sagte Val, über die drei Versionen von Die Invasion der Körperfresser . So wie es sich anhörte, genau die Sorte Bücher, die Carl Hazelwood draußen in seiner Garage haben könnte. Der Bursche ist ein wenig schräg, hatte Val noch hinzugefügt. Was für eine Überraschung.
    Etwas über zwei Stunden später fand ich mich in einer einen Block langen Straße etwa eine Meile vom Campus entfernt wieder, wo Restaurants, Cafés, Imbissstuben und Bars immer noch um studentische Kundschaft warben. Die St. Martin’s Lane gab es auf keinem Stadtplan. Ich musste dreimal anhalten und nach dem Weg fragen. Als ich dann schließlich die Adresse gefunden hatte, stand auf dem Grundstück kein Haus. Nach der 514 kam direkt die 518, dazwischen ein leeres Grundstück wie ein fehlender Zahn. Allerdings stand etwas zurückgesetzt am Zaun zur Allee ein Gästehaus oder eine umgebaute
Garage. Ich bog auf die Trümmer einer Zufahrt ein und ging dorthin.
    Auf mein Klopfen antwortete jemand, den ich auf den ersten flüchtigen Blick für einen kleinen, gebeugten Mann hielt. Bei näherer Betrachtung jedoch