Turner 01 - Dunkle Schuld
»›Zuhause. Ich habe kein Zuhause. Gejagt, verachtet, wie ein Tier lebend.‹«
»Okay.«
» Die Rache des Würgers .«
Auf dem Bildschirm, in der Höhle, stand der große, gebeugte Mann über einem Körper, der auf einem stählernen Tisch lag.
»Einer von vielen, in denen er leben wird«, sagte Goldman. »Die noch nicht lange toten Leichen sind unvollkommen und halten nur kurze Zeit. Sein Nachschub wird knapp, seine Mission bleibt unerledigt.«
Das klang jetzt tatsächlich mal vertraut.
»Der Schauspieler heißt Sammy Cash. Niemand weiß viel über ihn, wer er war und so weiter. Er tauchte aus dem Nichts auf, spielte die Hauptrolle in dieser Reihe von Filmen - so etwa ein Jahr lang schien er in jedem billigen Film mitzuspielen, der gedreht wurde -, dann war er wieder fort.«
»Carls Schwester sagt, Filme wären für ihren Bruder realer als das wirkliche Leben gewesen, dass er die schlechten am allermeisten gemocht hätte.«
»Guter Mann. Wir haben es hier in der Tat mit einer inversen Maschinerie zu tun. Je billiger die Filme sind, desto mehr sagen sie darüber aus, wie die Gesellschaft wirklich ist im Gegensatz zu dem, was sie von sich behauptet. Sind irgendwelche konkreten Namen zur Sprache gekommen?«
Ich zog mein Notizbuch heraus.
»Herschell Gordon Lewis, Larry Cohen, Basket Case , Spider Baby , The Incredibly Strange Creatures .«
»Mr. Hazelwood hatte einen guten Geschmack. Oder einen schlechten. Je nachdem.« Er lachte, und Bier lief aus seiner Nase. Er wischte es an seinem Ärmel ab, das Bier und was auch immer noch.
»Irgendeine Idee, wer oder was BR sein könnte? Das taucht auf nahezu jeder Seite seines Tagebuchs auf. Eine Abkürzung, Initialen …«
»Nur die beiden Buchstaben? Keine Punkte dahinter?«
Ich nickte.
»Und Sie sagten, Carl Hazelwood sei ermordet worden?«
»Wissen Sie etwas?«
»Vielleicht. Haben Sie die Leiche gesehen?«
»Fotos.«
»Ungefähr so?« Goldman hob die Arme und hielt sie in einem spitzen V über den Kopf, die Handgelenke nach außen gedreht.
Ich nickte.
»In gewissen Kreisen ist das ein berühmtes Bild. Ein paar Websites haben das sogar als Teil ihres Logos integriert. Zweige mit abbrechenden Blättern. Die Blätter sehen aus wie Hände.«
»Okay, ich komme nicht mehr mit.«
»So soll das auch sein. Verstehen Sie was von Kult-Filmen?«
»Nichts.« Grundfähigkeiten der Gesprächsführung. Den Dummen spielen, nichts zugeben. Die Worte des Interviewpartners sprudeln nur so hervor, um die Leere zu füllen. »Helfen Sie mir auf die Sprünge.«
»Da kann ich Ihnen noch was Besseres bieten.Warten Sie.«
Er pirschte in eine Ecke des Raumes, wühlte in einem Stapel Videokassetten, ging dann zum Schreibtisch, um dort ähnlich herumzuwühlen. Tauchte mit einer CD wieder auf. Er warf die aktuelle Kassette genau in dem Moment aus, als der gebeugte Mann in einen neuen Körper überging.
»Das ist alles, was ich habe«, sagte er zu mir, »alles, was es überhaupt dazu gibt, was irgendwer besitzt. Soweit ich weiß. Von einer österreichischen Internetseite heruntergeladen.«
Lange Einstellungen vorstädtischer Häuser, sauber gemähte grüne Rasen, Reklametafeln. Dann, völlig quer zu dem Bisherigen, die Nahaufnahme eines Mannes, der offenbar große Schmerzen hat. Er steht vor etwas, das möglicherweise ein Spalier ist, oder stützt sich dagegen, ein filigranes Holzgeflecht, durch das man eine weiße Wand sieht. Seine Arme sind zu einem spitzen V über den Kopf erhoben. Ein Gewimmel von Händen, vier, dann sechs, dann acht, die seine Hände umkreisen, sie berühren, Kordel um Handgelenke schlingen, sie an das offene Geflecht binden. Wieder allein, sinken die Hände an seine Seiten. Er lächelt.
Mein Gastgeber warf die Kassette aus, als sich der Bildschirm mit Rauschen füllte.
»Wieder Sammy Cash«, sagte er, »obwohl die meisten Menschen das nicht bemerken. Zu diesem Zeitpunkt hat er eine Menge durchgemacht, hat sich verändert. Dieser Clip ist vielleicht alles, was noch geblieben ist - auf jeden Fall alles, was ich je gesehen habe. Aber der Film ist eine Legende. Jeder ernsthafte Sammler würde seine Großmutter eintauschen für eine Kopie davon und seinen Erstgeborenen noch dazugeben.«
»Warum?«
»Sie meinen, außer der Tatsache, dass niemand sonst eine Kopie besitzt.«
»Genau.«
»Weil es der am schwersten fassbare Film ist, der je gemacht wurde. Es gibt immer noch ein paar Leute, die behaupten,
ihn gesehen zu haben, aber genau so viele behaupten
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