Turner 01 - Dunkle Schuld
erforderte stetige Weiterbildung. Gestählt durch Kurse wie Statistik für Leistungserbringer im Gesundheitswesen und Personifizierung des anderen in
zwischenmenschlichen Beziehungen, hatte ich mich schon lange für das Durchschnittsniveau entschieden.
Praktische Angelegenheiten - die Miete des Apartments, die Ankündigung bei Patienten und Dienstleistungsanbietern, das Packen -, all das machte wenig Schwierigkeiten. Ich besaß, immer noch, die Tendenz eines Häftlings zur Einfachheit; nur wenige Bindungen und nur ein paar Dinge, die nicht unter den Arm geklemmt oder freizügig weggegeben werden konnten.
Blieb nur noch Susan.
Ich hatte mich gegen jede feste Beziehung entschieden. Schlecht für mich, noch schlechter für denjenigen, der am anderen Ende der Wippe saß, und auch für die Welt an sich kein Gewinn. So etwas tendiert dazu, biblische Fluten, Eiszeiten und Heuschreckenschwärme zu verursachen, soweit ich weiß. Aber da war ich nun, in einer Beziehung, wenngleich in einer zögerlichen, unverbindlichen. Aus einer grauenhaften fünfzehnjährigen Ehe kommend, die sie psychisch gerade so eben überlebt hatte, vom Physischen mal ganz zu schweigen, bewegte Susan sich genauso vorsichtig wie ich.
»Dieser Prosciutto ist wunderbar«, sagte Susan.
Unser Lieblingsrestaurant, direkt um die Ecke von ihrem Ein-Zimmer-Apartment, hatte ungefähr die Größe ihrer Wohnung. Die Kellnerin, eine Frau von fast eins achtzig in einem Minirock, Tube-Top und Plateau-Sandalen stolperte von Tisch zu Tisch. Dunkle Linien umrahmten ihre Augen und den Mund, als wollten sie sie an Ort und Stelle halten. Es war schwer, sie sich irgendwo anders vorzustellen. Wo in der weiteren Welt könnte diese Vision womöglich hineinpassen?
Susan wandte sich wieder der Vorspeise zu, dem Aushängeschild des Restaurants, während ich an einem zweiten Espresso nippte. Hauptgänge in Form von Nudeln mit Würstchen und gedünstetem Spinat und Nudeln mit Lachs und Spargel würden gleich kommen. Unseren Wein hatten wir selber mitgebracht.
»Du machst wieder eine deiner überraschenden Wendungen, nicht wahr?«
Ich brauchte es ihr noch nicht einmal zu sagen. Sie wusste es.
»Ich nehme an, das tue ich.«
»Das ist in Ordnung.«
Draußen fing es an zu gießen, der Regen fegte über den Parkplatz, von links nach rechts, wie die Kante eine Hand, die Krümel vom Tisch kehrt.
»Irgendwie habe ich es halb erwartet, weißt du«, sagte sie. »Am Anfang mehr als halb. Aber ich hatte immer noch Hoffnung.«
Ist der Limbo noch ein Begriff? Man tanzt unter einem Stab durch, der tiefer und tiefer gesetzt wird. Das ist Hoffnung. Nur, dass der Stab jedes Jahr weiter hoch geht, nicht runter.
»Du wirst sie immer noch haben. Die nehme ich nicht mit.«
Der Eigentümer selbst brachte uns unsere Hauptspeisen an den Tisch. Susan saß still da, als sie vor uns abgestellt wurden, und wartete, bis ein weiterer Schwung Richtung Küche und zurück einen Korb Brot an unser Ufer warf.
»Doch«, sagte sie dann. »Das tust du.«
Kapitel Dreiunddreißig
»Wir machen uns auf den Heimweg«, sagte Sarah Hazelwood. »Ich muss zurück zur Arbeit, solange ich noch welche habe. Dad geht es hier im Prinzip gut, aber besser geht es ihm unter Menschen, die er kennt, und in seiner gewohnten Umgebung. Doc Oldham sagt, dass es kein Problem sei, Carls Leichnam nach Hause zu überführen. Ich wollte nur kurz vorbeikommen und mich für alles bedanken, was Sie für uns getan haben.«
Durch das Fenster konnte ich ihren Vater sehen, der abgestützt im Fond des Wagens saß. Die Schiebetür war offen, und Adrienne, gertenschlank und beschützend, wartete davor. Wie sie dort so stand, hatte sie gleichzeitig etwas von einem beschattenden Baum und einer Wache.
»Es tut mir leid, dass wir diese Sache nicht aufklären konnten.«
»Das werden Sie. Und wenn Sie so weit sind, können Sie mich hier erreichen.« Sie gab mir einen Zettel mit verschiedenen Adressen, Telefon-und Faxnummern.
Ich hatte in letzter Zeit oft gesagt, es täte mir leid.
»Warum?«, hatte Susan an jenem Abend bei Giusep pe’s geantwortet. »Es gibt nichts, das dir leidtun müsste. Ich habe die Entscheidungen getroffen, die mich hierhergebracht haben.«
»Sie sind weder für Jimmies Tod noch für den von Brian verantwortlich«, sagte ein Therapeut, zu dem ich damals in
Memphis kurz gegangen war. »Das wissen Sie genauso gut wie ich. Also, warum entschuldigen Sie sich? Oder, wichtiger noch, warum sind Sie überhaupt
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