Turner 01 - Dunkle Schuld
Lady heute schon hier gewesen?«
»Wer?«
»Cowboy?«
Es folgt eine lange Einstellung, in der die beiden Typen sich anstarren, während die Welt, oder das, was aus ihr geworden ist, sich davor und dahinter weiterdreht. Eine junge Frau in Jeans und weit über dem Bauchnabel abgeschnittenem T-Shirt tanzt allein. Die spitzen Nippel ihrer Brüste kommen ins Blickfeld der Kamera, und der Barkeeper schenkt einen weiteren Scotch ein, während nach einem Schnitt die nächste Szene kommt, scheinbar zusammenhanglos. Dann noch eine.
Ergaben diese verschiedenen, voneinander getrennten Szenen einen Film, ergaben sie zumindest den groben Rahmen eines solchen? Waren die abrupten Schnitte und plötzlichen Wechsel (als ob der Film sich immer wieder selbst neu erfinden müsste) tatsächlich Teil einer unfertigen, ästhetischen Welle, eigentlich unvollendet - oder war es einfach nur das, was passiert, wenn irgendein Kid in Iowa mit viel Fantasie Filmschnipsel zusammenpappt?
Letztendlich waren der Rohschnitt von The Giving und die Dokumentation vom selben Schlag. Weder der eine noch der andere ergab erzählerisch großen Sinn, beide versagten darin, einen vertikalen Strang der Ereignisse anzubieten, wobei sie versuchten, das mit jeder Menge horizontaler Geschäftigkeit zu vertuschen. Sie waren Schmierzettel, Notizen, Skizzenbücher, Tagebucheinträge, Briefe an den Redakteur, lockere Unterhaltung, Schrott-Skulpturen.
Zwei Dinge allerdings blieben haften.
Vieles in der Dokumentation beruhte aufgrund interner Belege auf der Zwillings-Annahme, dass BR ein Südstaatler
sein müsse und dass die Filme eine Zusammenarbeit zwischen dem Regisseur und Sammy Cash darstellten.
Dann das andere.
Ich kam aus der Küche zurück, mit neuem Eis in einem frisch eingeschenkten, sehr alten Scotch. Ich hatte die Kassette mit The Giving neu gestartet, bevor ich gegangen war; als ich wieder reinkam, lief der Vorspann. Normalerweise hätte ich dem keine Beachtung geschenkt. Bis der Film wirklich begann, sah ich nie wirklich hin. Aber ein kurzer Blick ließ mich mit meinem Scotch in der Hand wie angewurzelt stehen bleiben. Ich starrte auf dem Bildschirm.
Als Produzent genannt wurde H.L. »Bubba« Sims.
Kapitel Vierunddreißig
»Es liegt vielleicht neun Jahre zurück, die trockenste Saison, die wir seit langem hatten. Man konnte auf der Veranda sitzen und zuhören, wie die Äste barsten und fielen und wie die Schindeln auf dem Dach sich in der Hitze aufrollten. In den Wäldern im Osten hatte es angefangen zu brennen, und das Feuer kam näher. Eichen, Ulmen und Pinien, alle gingen in Flammen auf wie Fackeln. Dachte, dass wir mit Sicherheit die Stadt evakuieren müssten.
Da war dieses tote Kind drüben im Bestattungsinstitut, sicher schon seit siebzig, achtzig Jahren, alle nannten ihn Mojo. Er war gestürzt, gesprungen oder war von einem Zug runtergestoßen worden. Als man seine Leiche mit der Rechnung von hundertacht Dollar präsentierte, sagte die Familie: ›Ihr könnt ihn alle behalten.‹ Also behielten sie ihn, er wurde mumifiziert, der Sarg lehnte aufrecht in einer Ecke des Hinterzimmers. Das Bestattungsinstitut wurde verkauft, Mojo gleich mit. Pokerspieler zogen ihn jede Woche raus, damit er ihnen Glück bringt, und stellten ihn neben den Tisch.
Aber als es so aussah, dass die Stadt untergehen würde, entschieden sie, dass Mojo eine anständige Beerdigung brauchte. Haben damit seit 1920 gewartet, wohlgemerkt. Aber sie schleiften ihn raus, fanden eine freie Stelle und brachten ihn unter die Erde.
Das Feuer war vielleicht noch vier Meilen außerhalb der
Stadt, als der Regen kam. Er blieb eine Woche oder länger. Alles war durchweicht. Hinterher konnte niemand mehr die Stelle finden, wo sie Mojo begraben hatten. Old Man Langham behauptet, er habe seitdem keine Runde Poker mehr gewonnen.«
Lonnie grinste mich über seinen Kaffeebecher hinweg an.
»Keine Ahnung, warum mir das gerade eingefallen ist.«
June hatte ihn am Abend vorher angerufen, hatte er mir erzählt. Sie war auf dem Nachhauseweg. Dieser Hurensohn war Vergangenheit.
»Also, was unternehmen wir jetzt in dieser Sache?«
»Ich dachte, dass Beste sei, zum Haus rauszufahren.«
»Ohne vorher anzurufen.«
»Ja.«
»Das wird Henry Lee aber gar nicht gefallen.«
Ich zuckte mit den Achseln.
»Hier sitze ich nun und dachte, in einer Stadt dieser Größe kann keiner ein Geheimnis für sich behalten, und heraus kommt, dass Henry Lee ein Rad an Hollywoods Wagen ist.«
»Ein kleines. So
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