Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Turner 01 - Dunkle Schuld

Turner 01 - Dunkle Schuld

Titel: Turner 01 - Dunkle Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
Vom Netzwerk:
ernähren, was sie einsammeln, weil das für sie eine Delikatesse ist. Darüber gibt’s eine ganz Webseite.«
    Val warf Maiskolben in sprudelnd heißes Wasser.
    »Ich weise darauf hin, dass das hier kein Kochen ist«, sagte sie.
    »Okay.«
    »Ich koche nicht für Sie.«
    »Ihre Absichten sind rein.«
    »Den Salat habe ich auch nicht gekocht.«
    »Meine Güte. Super Publikum.«
    »Finden Sie, ich bin ein Publikum?«
    »Sind wir das nicht alle?«

    »Ja. Wahrscheinlich.«
    »Wie war’s bei Gericht?«
    »Eisig.« Sie beugte sich vor, um die Flamme unter dem Mais kleiner zu stellen und einen Deckel auf den Topf zu geben. »Ich vertrete einen Sechzehnjährigen, der bei Gericht Volljährigkeit beantragt. Er ist Mormone - jedenfalls sind es seine Eltern. Der Anwalt der Verteidigung hat bisher jedes einzelne Familienmitglied sowie die komplette örtliche Mormonengemeinde in den Zeugenstand gerufen, alles in allem zwei Dutzend Leute. Und der Richter erlaubt es weiter, trotz all meiner Einsprüche wegen Unwesentlichkeit. Zwischenzeitlich sah’s im Gericht aus wie an einer Bushaltestelle.«
    »Sie lieben ihn.«
    »Verdammt wahr, das tun sie. Wenn man eines über die Heiligen der Letzten Tage weiß, dann, wie wichtig ihnen die Familie ist. Sie wollen den Jungen auf gar keinen Fall verlieren - weder persönlich noch spirituell.«
    »Ist er auf irgendeine Art finanziell unabhängig?«
    »Es gibt einen Internet-Versandhandel, den er selbst aufgebaut hat. Religiöser Bedarf - er hat alles im Angebot, von jüdischen Menoras bis zu islamischen Gebetsteppichen. Hat damit letztes Jahr einen Umsatz von einer Viertelmillion netto gemacht.«
    »Und hat offensichtlich andere Vorstellungen.«
    »Er ist kein Gläubiger. Er glaubt nicht mal an den Kapitalismus, soweit ich das beurteilen kann. Ich vermute, es geht allein um Pragmatismus. Er wollte einen Weg raus aus dieser Glaubensgemeinschaft in die Unabhängigkeit, und in der Firma sah er eine gute Möglichkeit. Ein Großteil des
Unternehmensgewinns fließt jedoch genau an die Familie zurück, der er zu entkommen versucht.«
    »Interessanter Widerspruch.«
    »Finden Sie? Widersprüche implizieren, dass wir von einer allumfassenden Allgemeingültigkeit ausgehen. Sie sind quasi die Asche, die übrig bleibt, wenn solche Verallgemeinerungen herunterbrennen. Ein einzelnes, individuelles Leben jedoch ist eine völlig andere Sache.« Natürlich hatte sie Recht.
    »Hat er irgendeine reelle Chance, seine Volljährigkeit zu erhalten?«
    Val zuckte mit den Achseln. »Ich scheine dieser Tage generell meine Schwierigkeiten zu haben, überhaupt eine Aussage darüber machen zu können, wie etwas läuft. Nehmen wir zum Beispiel dieses Abendessen.«
    »Welches Sie ja bekanntermaßen nicht kochen.«
    »Genau.«
    Später, nachdem wir unsere Maiskolben - und unabsichtlich auch unser Kinn - mit Butter, Salz und Pfeffer eingerieben und anschließend riesige Mengen Salat verputzt hatten - Eisberg mit Rettich, frischen Tomaten und roten Zwiebeln, mit Essig und Olivenöl beträufelt -, saßen wir auf Vals Veranda in der Dunkelheit, die nur durch ein Gitter von Mondlicht erhellt wurde, das durch die Bäume fiel.
    »Als Sie noch auf der Straße gearbeitet haben, da dachten Sie doch, Sie täten was Gutes, oder?«
    »Natürlich.«
    »Und später als Therapeut?«
    Ich nickte.
    »Glauben Sie das immer noch?«

    »Ja.«
    »Aber Sie haben aufgehört.«
    »Hab ich. Aber nicht wegen irgendeiner existenziellen Sinnkrise.«
    Eine im Pekanussbaum sitzende Eule hob den Kopf, um ihn um einhundertachtzig Grad zu drehen. Der Country-Musiker Gid Tanner, mit dem Riley Puckett zusammen spielte, soll dieses Kunststück angeblich auch fertiggebracht haben.
    »Als ich sechzehn war, ist mein Dad mit mir losgezogen, um mir mein erstes Auto zu kaufen. Wir fanden einen 48er Buick, der uns beiden gefiel. Irgendeine schreckliche violette Farbe, und jemand hatte Plastiksitze eingebaut, wie aus einem Schnellrestaurant. Der Wagen selbst war in ziemlich gutem Zustand. Aber die Kotflügel waren voller Dellen, und man konnte sehen, wo sie mehr als einmal von unten mit dem Hammer wieder ausgebeult worden waren. Ich hatte nach etwas Schönem, Glänzendem gesucht, und diese Kotflügel störten mich. Mein Vater war etwas gründlicher und prüfte auch den Rahmen und die Maschine. ›Es ist ein guter Wagen, J.C.‹, sagte er zu mir. ›Nur alt - wie ich. Die Kotflügel sind vor dir dran.‹
    Später war das die Art, wie ich Menschen sah. Die Teile, die

Weitere Kostenlose Bücher