Turner 02 - Dunkle Vergeltung

fuhren los, nur um dann zu erfahren, dass Eldon verschwunden war. Er habe gesagt, er müsse für ein, zwei Tage aus der Stadt, erzählte unsere Kellnerin mit einem Ausdruck und Tonfall, als würde sie so ziemlich alles dafür geben, ebenfalls nicht hier zu sein.
    Wir waren mit heruntergelassenen Scheiben gefahren, auf menschenleeren Straßen, durch Gezeitenbecken voll mit Mondlicht und dem Duft heraufziehenden Regens. Es waren genau solche Momente - wenn wir gemeinsam am Küchentisch oder zusammen im Auto saßen, wenn die Zeit still zu stehen schien -, in denen die natürliche Distanz, die zwischen J.T. und mir nach wie vor herrschte, wie weggeblasen war. Sie war nicht wirklich verschwunden, aber in diesen Momenten hatte sie keinerlei Bedeutung mehr.
    »Ich habe in letzter Zeit viel über meinen Bruder nachgedacht und über Don«, sagte sie. »Ich musste daran denken, wie viele Menschen ich kenne, die mit ihrem Leben nicht zu Rande kommen. Menschen, die Dummheiten begehen, immer wieder. Die zu Gewalt neigen - Gewalt gegen sich selbst oder gegen andere.«
    »Schmerz als Drehpunkt, Verlust als Hebel, damit ihre Welt nicht völlig aus den Fugen gerät. Es kann passieren, dass nach einer Weile kein anderes Gefühl mehr zu ihnen durchdringt, dass nur noch der Schmerz sie spüren lässt, dass sie am Leben sind.«

    »Richtig. Du hast mit ihnen gearbeitet, Dad. Du verstehst das also.«
    »Nein. Man denkt immer, man würde es verstehen. Jedes Mal, wenn man etwas Neues lernt, eine neue Leidenschaft entwickelt, denkt man, nun habe man seinen Weg gefunden. Es ist wie in diesem Song, den Eldon und Val immer gesungen haben. Farther along we’ll know all about it … Aber so ist es nicht, man hat nicht irgendwann den Durchblick. Am Ende hält man immer noch dieselben leeren Karten in der Hand - es sind nur mehr geworden.«
    Trotz Eldons Abwesenheit machten wir das Beste aus dem Abend und aus den drei oder vier Pfund Steak, die wir uns teilten. Dann fuhren wir zurück. Es war nicht schwer, sich zwischen den Bäumen neben der Straße Geister vorzustellen, Reiter aus schläfrigen Schluchten, verhallende Echos einstiger Ahnungen, Hoffnungen und Sehnsüchte.
    In jener Nacht hörte ich ein Kratzen am Fliegennetz vor dem Fenster neben meinem Bett - oder träumte, es zu hören. Ich ging auf die Veranda hinaus, aber da war nichts. Nur der alte, von Zwirn zusammengehaltene Stuhl und die Flecken auf den Bodenbrettern.
    Nichts.

Kapitel Dreissig
    Nun zum Montag. Bevor der Anruf aus Memphis kam, vor meiner halbherzig durchgeführten Untersuchung. Oder, kurz vorher. Val und ich sitzen auf der Veranda.
    »Wir fahren morgen früh. Bei Tagesanbruch.«
    Die Instrumente waren auf dem Rücksitz des Volvo verstaut, der Wohnwagen war angehängt, entrollt war der schwarze Teppich der Straße. Westward ho!
    Vorher.
    »Wie Jäger.«
    »Genau.«
    »Ich werde …«
    »Ich weiß, dass du das wirst … Ich hab das Haus bereits verrammelt. Hab mir überlegt, ich könnte heute Nacht hier bleiben, wenn das für dich in Ordnung ist.«
    »Natürlich ist es das. Plant ihr immer noch, den ersten Stopp in Texas einzulegen?«
    »Sofern wir überhaupt irgendetwas planen. Wir steigen ein, lenken den Wagen in diese Richtung und schauen mal, was sich ergibt.«
    Ich ging hinein und holte die Flasche Wein, die ich so gekühlt hatte, wie sie es mochte. Ich erinnere mich, dass die Flasche ein Etikett der Alten Welt trug, rot, gelb, lila, grün, mit einem hölzernen Tor darauf; später, wenn alle fort waren, würde ich dasitzen und es anstarren.

    »Was deine Finanzen betrifft, kommst du klar, oder?«
    »Mein Gott, du hörst dich an wie mein Vater, der seine kleine Tochter auf die Schule schickt. Aber, jepp. Ich hab ausreichend.«
    Sie nahm das Glas, schnupperte am Wein, lächelte, und stellte es wieder ab. Kühl ihn und lass ihn dann stehen, damit er warm wird, bevor du ihn trinkst. Irgendwo zwischen diesen beiden Punkten gab es diesen einen perfekten Augenblick.
    »Ich hab all die Jahre mein monatliches Gehalt vom Staat bekommen, dazu die Honorare meiner Mandanten - und das einzige, wofür ich je Geld ausgegeben habe, ist das Haus gewesen, und das auch nur für Baumaterial, da ich - wir - die Arbeit selbst erledigt haben. Den Rest habe ich weggelegt, beziehungsweise - mein Gott, immerhin fahre ich einen Volvo - investiert. Somit habe ich ein Floß, das mich eine ganze Weile über Wasser halten wird.«
    Ein Marienkäfer landete auf ihrem Glas und schloss die Flügel. Val