Twig im Dunkelwald
hin.
Ein orangefarbener Blitz huschte über das Wasser. Twig erstarrte. Wig-Wigs waren orange! Er wagte es nicht, den Kopf zu heben. Ängstlich spähte er durch seine herunterhängenden, tropfenden Haare.
Was sich hinter einen Stein auf der anderen Seite des Baches duckte, war jedoch kein Wig-Wig, sondern ein Mädchen. Ein Mädchen mit einer blassen, fast durchscheinenden Haut und einem orangeroten Haarschopf. Er bekam Gesellschaft!
»Hallo!«, rief Twig. »Ich …« Doch schon war das Mädchen nicht mehr zu sehen. »Halt!«, brüllte er und watete, so schnell es ging, durch den Bach. Wo hatte sie sich versteckt? Er kletterte auf der anderen Seite ans Ufer und sprang auf den Stein. Das Mädchen verschwand in einiger Entfernung hinter einem Baum. »Ich tu dir doch nichts«, sagte er außer Atem zu sich selbst. »Ich bin nett, ehrlich!«
Doch als er an dem Baum ankam, war das Mädchen schon wieder weg. Er sah, wie sie sich noch einmal umdrehte, dann schlüpfte sie auf eine mit hohem Gras bewachsene Lichtung. Twig rannte hinter ihr her. Sie sollte stehen bleiben, zurückkommen, mit ihm reden. Immer weiter rannte er, um Bäume herum, über Lichtungen – immer in Sichtweite des Mädchens, doch ohne ihr näher zu kommen. Das Mädchen sah sich wieder um und verschwand hinter einem dicken, mit Efeu bewachsenen Baumstamm. Twig spürte, wie seine Nackenhaare sich aufrichteten und das Fell der Hammelhornweste sich sträubte. Und wenn das Mädchen sich gar nicht deshalb umdrehte, weil es wissen wollte, ob es ihn abgehängt hatte? Sondern um sich zu vergewissern, dass er nachkam?
Er folgte ihr weiter, aber vorsichtiger. Er ging um den Baum, doch das Mädchen war nirgends zu sehen. Twig sah in die Baumkrone hinauf. Sein Herz pochte, seine Kopfhaut kribbelte. In dem dichten Laub konnte alles Mögliche sprungbereit lauern – alles Mögliche.
Er tastete nach seinen Amuletten. Dann machte er noch einen Schritt nach vorn. Wo war das Mädchen überhaupt? Sollte das nur wieder eine schreckliche Falle …
»Neiiiiin!«, schrie er.
Der Boden unter ihm hatte sich geöffnet und er fiel in die Erde hinein und holterdiepolter durch einen langen, gewundenen Tunnel, bis er – plumps! – auf einem weichen Lager aus Stroh landete.
Benommen sah er auf. Um ihn drehte sich alles. Gelbe Lichter, knorrige Wurzeln und vier Gesichter, die auf ihn herunterstarrten.
»Wo warst du?«, fragten zwei davon. »Du weißt doch, ich mag es nicht, wenn du nach oben gehst. Es ist zu gefährlich. Eines Tages holt dich noch der Schleimschmeichler, Mädchen.«
»Ich passe schon auf«, erwiderten die anderen beiden Gesichter mürrisch.
Twig schüttelte den Kopf. Aus den vier Gesichtern wurden zwei. Das größere kam näher und er sah blutunterlaufene Augen und aufgesprungene Lippen.
»Und was ist das?«, fragte das Gesicht vorwurfsvoll. »Was hast du da wieder angeschleppt, Mag?«
Das blasshäutige Mädchen streichelte Twigs Haare. »Er ist mir nach Hause nachgelaufen, Mumsie«, sagte es. »Darf ich ihn behalten?«
Die Frau richtete sich auf, verschränkte die Arme, holte tief Luft und wurde dabei sichtlich größer. Misstrauisch beäugte sie Twig. »Ich hoffe bloß, er kann nicht sprechen«, sagte sie. »Denn das habe ich dir ja gesagt: Tiere, die sprechen, kommen mir nicht ins Haus.«
Twig schluckte aufgeregt.
Mag schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, Mumsie. Ab und zu macht er Laute, aber keine Worte.«
Mumsie grunzte. »Hoffentlich stimmt das auch. Sprechende Tiere machen nur Ärger.«
Mumsie war ein Koloss mit wulstigen Unterarmen und einem Hals, der genauso breit war wie ihr Kopf. Außerdem war sie im Unterschied zu dem Mädchen, das in dem Dämmerlicht unter der Erde mit seiner blassen Haut fast unsichtbar war, in jeder Beziehung sichtbar. Mit Ausnahme des Gesichts leuchteten auf jedem Stückchen Haut, das nicht von Kleidern bedeckt war, farbige Tätowierungen.
Da gab es Bäume, Waffen, Tiere, Gesichter, Drachen, Schädel, alle möglichen Symbole. Sogar den kahlen Kopf hatte sie sich bemalen lassen. Was Twig zuerst für eng anliegende Locken hielt, waren in Wirklichkeit eintätowierte Schlangen.
Mumsie hob die Hand und kratzte sich nachdenklich an ihrer dicken Nase. Dabei spannte sich ihr Bizeps. Der Ärmel ihres gemusterten Kleids rutschte knisternd nach oben und Twig starrte unversehens auf das eintätowierte Bild eines Mädchens mit leuchtend orangeroten Haaren. Darunter stand in tiefblauen Buchstaben MUMSIE LIEBT MAG
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