Tyggboren (Salkurning Teil 2) (German Edition)
dem Leib schrie. Als Firn endlich weiterredete, hörte er sich an, als
müsste er die Geschichte wie einen Splitter aus sich rausziehen.
„Da war ein riesiger Baum, eine Weide, glaub ich … Er
stand am Ende der Welt, das wusste ich als Kind, weil dahinter, hinter diesem
Gewirr aus hängenden Zweigen, nichts war. Grauschwarzes Nichtdunkel-Nichthell –
das Nichts eben. Aber der Baum stand auf einer Wiese mit langem, grünem Gras …
genau der Ort, den man sich für einen netten Mittagsschlaf sucht; ohne diesen
Abgrund dahinter wär’s perfekt gewesen. Aber den konnte man hören – sogar
fühlen, wie einen ganz tiefen, vibrierenden Ton … War wie das Ruhen von etwas,
das eigentlich voller Leben sein sollte. Es machte mir Angst. Und ich hab sonst
nie Angst.“
„Klingt nach dem Baum aus dem Kazimazi-Stück –“
„Ich hatte Angst, aber trotzdem wollte ich unbedingt auf
diesen Baum klettern. Ich wollte in den Abgrund runtersehen. Wollte wissen, was
auf der anderen Seite ist. Aber dann, als ich mitten in den Zweigen war, da
hörte ich die Stimme, die Stimme des Baumes – ja, ich weiß wie sich das anhört,
aber so war’s nun mal, es war eben ein Traum. Das war auch so ein ganz tiefer,
ruhender Ton, aber diese Stimme, die kannte ich: Das war Fornestembres Stimme.
Der Nachhall, wenn nur noch die tiefsten Basssaiten nachschwingen. Dann erkannte
ich, dass die hängenden Zweige Saiten bildeten und der Baumstamm den Körper –
du kennst diese Bäume, die mit den langen, hängenden Zweigen? Und ich – ich
musste auf dieser Baumharfe spielen, ich wollte spielen, mehr als alles
andere!“
Firn biss auf seine Fingernägel, und das hatte er ihn
noch nie tun sehen. Und der Ausdruck in seinem Gesicht war an ihm so fremd,
dass man Sekunden brauchte, um zu begreifen, dass es Angst war.
„Dann hab ich gespielt. Der Klang war – wie pure
Macht. Er war vollkommen. Ich wollte nie mehr aufhören zu spielen. Zuerst fiel
es mir gar nicht auf, aber dann, dann hab ich gemerkt, dass ich selbst zu einem
Teil des Baumes geworden war – ich war der Baum, Zweige und Stamm und
Musik – mich, Tristain Gascoigne, gab’s gar nicht mehr! Ich war – was anderes
geworden – und ich konnt mich kaum noch erinnern, was ich vorher gewesen war –
es war so – es hat mich so erschreckt, dass ich nie darüber nachdenken wollte
–“
Sein Entsetzen war auch jetzt noch spürbar. Plötzlich
festzustellen, dass man gar nicht sich selbst gehört, dass man vielleicht immer
etwas anderes gewesen ist, als man gedacht hat – ja, dieses Entsetzen kannte
James. „Jedenfalls ist mir jetzt klar, warum du bei dem Kazimazi-Stück nicht
mitmachen wolltest“, sagte er.
„Ach, vergiss doch diesen Quatsch mit den Pappblumen!
Ich sag dir, dieser Traum war so – so was willst du nicht sehen! Wenn du dich
selbst plötzlich als grüne Blätter und Rinde und so was siehst … als wäre man
gestorben und würd sich ansehen, was aus einem rauswächst!“
„Kann ich mir vorstellen.“
„Deshalb hab ich mit der Harfe aufgehört. Ist mir
schwer gefallen, aber in einer Sache war ich mir sicher: Nichts sollte jemals
solche Gewalt über mich kriegen wie dieser verdammte Baum in meinem Traum! Es
war ’ne Warnung.“ Er wischte sich übers Gesicht – den dunklen Staub abwischen,
das war eine Geste, die sie alle schon unbewusst machten. „Aber dieser Kerl ist
mir noch zweimal über den Weg gelaufen. Dieser Harfner. Der hat mich nicht in
Ruhe gelassen. Zuletzt hab ich ihn gesehen, als ich schon bei den Tagallians
war. Der wusste immer noch, wer ich war. Meinte, ich könnte vor Racht nicht
davonlaufen. Und dass ich’s immer bleiben würde.“
„Der Herr von Fornestembre.“
Firn nickte. „Ich glaub nicht an Götter und Märchen.
Das ist das Schlimmste daran. Wenn man so einen Quatsch nicht glaubt und doch
dazu gezwungen ist, es zu glauben! Ich fühle , dass es stimmt, obwohl ich
weiß, dass es Blödsinn ist!“
„Und – und verstehst du, was das bedeuten soll?“,
fragte James. „Was Orla gemeint haben könnte? Und dieser Harfner?“
„Um das rauszufinden, muss ich wohl erst nach Frillort
gehen.“ Jetzt klang er wieder wie Firn, spöttisch und überlegen. „Das hat sie
doch gesagt, oder? Dass er Frillorts Diener werden muss?“
Er nickte. Musste plötzlich an die Frau denken, die
den Kazimazi-Vögeln bis nach Frillort gefolgt war. Wie sie da neue Hoffnung
gefunden hatte. Und was für einen schrecklichen Hunger nach Trost das in ihm
hinterlassen
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