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Tyrannenmord

Tyrannenmord

Titel: Tyrannenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roy Jensen
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bewies.
    Joe war in der Nähe seines Vaters geblieben, der in sich gekehrt an einem der Tische Platz genommen hatte und in sein Glas starrte. Nina bemerkte das und fragte, ob es ihm denn an etwas fehle, sie würde ihm gern nachschenken. Obwohl der Vater ziemlich einsilbig blieb, wusste Joe, dass ihm diese Art von sparsamer Zuwendung am besten gefiel. Er konnte eben nicht aus seiner Haut, zumal er als fünfjähriger Junge einst auf der Flucht aus Ostpreußen einen irreparablen, nicht mehr zu kittenden seelischen Schaden erlitten hatte. Dieser beeinträchtigte sein Leben bis auf den heutigen Tag; er besaß nicht mehr allzu viel Kraft und zog sich deshalb zumeist vor den Menschen zurück.
    Joe, der sich für seinen Vater verantwortlich fühlte und ganz in sich versunken eine Weile stehen geblieben war, spürte eine sanfte Berührung. Erika Long war an ihn herangetreten und hatte ihre Hand kurz auf seinem Unterarm verweilen lassen.
    »Ist alles okay bei dir, Joe?«, fragte sie.
    »Klar, hält sich schon … lass uns mal einen kleinen Rundgang durch die heuer so bunte Botanik machen«, erwiderte Joe, schnell wiedergefasst, denn überall war Lachen und angeregtes Stimmengewirr zu vernehmen.
    Es war ein beachtenswertes Paar, das bald darauf auf dem weitläufigen Anwesen locker nebeneinanderher schlenderte. Der stämmige, an einen normannischen Kleiderschrank erinnernde Blonde und im Gegensatz dazu die fast zierlich zu nennende, schlanke, ältere Frau mit den langen schwarzen Haaren und den ausdrucksvollen dunklen Augen.
    Nach seiner Rückkehr aus den Staaten hatte Erika Joes Interesse geweckt, denn sie übte auf ihn eine magische Anziehungskraft aus, die alles beinhaltete und nichts ausklammerte, was Mann und Frau miteinander erleben könnten. Die Tatsache, dass beide dem allgemeinen Mainstream den Rücken gekehrt, sowohl die Bemühung, die Welt etwas anders zu begreifen, hatte sie näher gebracht, eine gewisse Seelenverwandtschaft untereinander spüren lassen. Dennoch wusste Erika den um sie werbenden Joe gleich unverblümt klar zu machen, dass sie keine sexuelle Beziehung zu einem Mann mehr wünsche.
    Trotzdem hätte er gern mehr über sie erfahren, etwas, das über das Wissen um ihre ehemalige aktive Mitgliedschaft bei der Tierschutzorganisation Sea Shepherd und der Tatsache, dass sie schon lange Witwe war, hinausging … hier stoppte Joe seinen Gedankenflug, da sich auf seinen Armen unvermittelt eine Gänsehaut gebildet hatte, und richtete seine Aufmerksamkeit mehr auf die Umgebung.
    Es war inzwischen ein leichter Südwestwind aufgekommen, der die Kornhalme auf den Feldern sanft zu fächeln begonnen hatte.
    Was für ein friedliches Bild, dachte Joe und, weil er unwillkürlich ein paar Schritte in Richtung Langballiger Straße gegangen war, hörte er das ferne, dumpfe Dröhnen als Erster.
    So wie der Mensch eine Stimme, die er einmal gehört, nie mehr vergisst oder einen bestimmten Geruch eingesogen und den untrüglich für alle Zeiten gespeichert hat, so erging es gerade Joe. Obwohl die Abgaswolken nicht fassbar waren, hatte er jedoch diesen unerträglich beißenden, sämtliche Lungenbläschen lähmen wollenden Gestank aus unzähligen Auspufftöpfen in der Nase, wie damals auf einem der Highways in Arizona, als er unvermutet in eine schier endlos erscheinende schwarze Schlange martialisch gekleideter Biker geriet, weil irgendwo ein unsäglicher Harley-Davidson-Tag anstand.
    Immerhin wusste Joe sofort, was zu tun war. Und während er auf das Haupthaus zueilte, blieb ihm Erika dicht auf den Fersen. »Was ist denn los, Joe – was ist das, dieses ferne Grummeln?«
    »Da kommt eine stinkende Riesenschlange, bestehend aus Hunderten von Bikern auf uns zu«, stieß Joe hastig hervor. »Sag bitte den anderen Bescheid und sucht alle Kinder zusammen … ich kümmere mich inzwischen um meinen Vater!«
    Joe sah, wie Erika auf einiges Kopfschütteln stieß. Besonders Ben und Nina schienen das Vorhergesagte einfach nicht glauben zu wollen und blieben demonstrativ bei ihren Gästen sitzen, währenddessen die Kinder weiter ausgelassen um die mit weißen Linnen behängten Tischbeine herum Fangen spielten.
    Joe fand seinen verängstigten Vater in der hintersten Ecke des Anwesens, während das dumpfe Dröhnen unaufhaltsam näher gekommen und bereits vereinzeltes Knattern zu vernehmen war. Der Vater hatte sich mit Ohropax – das er vorsichtshalber immer mit sich trug – inzwischen die Gehörgänge verstopft und unter dem Gesträuch

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