Tyrannenmord
Laut sagte sie: »Okay, Paul, eigentlich hast du recht, lass uns das so machen.«
Das Hotel ›Villa Gulle‹, ein historisches Gebäude aus dem späten neunzehnten Jahrhundert lag direkt im Zentrum, dennoch ruhig.
Sie hatten Glück, denn es waren gerade mehrere Einzelzimmer freigeworden. Nachdem sich die Beamten frisch gemacht und einen Imbiss zu sich genommen hatten, setzten sie sich noch an die gemütliche, hoteleigene Bar.
»Ist sicher für den Betroffenen fürchterlich öde, wenn der Urlaub so ausgeht, wie vorhin«, sprach Isabell den Unfall auf der Brücke an.
Schmidt, der an seinem Longdrink nippte, nickte zustimmend. »Ja, ein paar Sekunden mal nicht bei der Sache und schon ist’s passiert. Da braucht es nicht unbedingt äußere Ursachen zu haben, denn stärkere Windböen hatten wir ja nicht und dann würde die Brücke sowieso für Gespanne, Lastwagen und so weiter gesperrt.
»Und wie verfahren wir nun im Fall Bothe und Thomsen weiter, Paul?«, fragte Isabell.
»Ich habe inzwischen die Kollegen vom GZ in Padborg in Kenntnis gesetzt. Die Fahndung läuft bereits. Da heißt es nun erst mal abwarten.«
Als Isabell später im Bett lag, merkte sie, wie wohlige Müdigkeit von ihrem Körper Besitz ergriff, und bald darauf war sie eingeschlafen. So nahm sie natürlich nicht mehr die Schritte auf den leicht knarrenden Dielen wahr, die für einen kurzen Moment direkt vor ihrer Tür abstarben und sich dann in die Richtung entfernten, aus denen sie gekommen waren.
Am Nachmittag des nächsten Tages fuhren sie mit dem Staatsanwalt und zwei Kollegen von der Spurensicherung zum Bikertreff, um dort eine Hausdurchsuchung vorzunehmen. Merkwürdig, wie verwaist die Kneipe plötzlich wirkte, dachte Schmidt. Im vorderen Gastraum warteten überall noch schmutzige Gläser darauf, abgewaschen zu werden, rundum sah es nach plötzlichem Aufbruch aus. Nun gut, die vorderen Räume waren ja bereits nach den Mordanschlägen hinreichend durchsucht worden. Nun konnten sie endlich hoffen, weiteres Verwertbares zu finden, denn jetzt waren der Clubraum und die Privaträume dran.
Den Clubraum, wo so manches konspirative Treffen stattgefunden haben mochte, dominierte die Frontwand ein chromblitzender, inzwischen von einer leichten Staubpatina überzogener hochkant stehender Harley-Davidson-Tank. Direkt darüber prangte ein ausladender Motorradlenker, der Schmidt in Assoziationen zum Kultfilm ›Easy Rider‹ und zugleich an ein Hirschgeweih weckte.
In der Mitte des Raumes befand sich ein länglicher Couchtisch, der von einem Rund aus Cocktailsesseln umsäumt war. Angesichts der überlaufenden Aschenbecher rümpfte Isabell die Nase, bevor sie ihrem Chef in die Privaträume folgte. Außer Teeküche, Bad, Wohn- und Schlafzimmer fanden die Beamten zu ihrer Überraschung eine kleine Werkstatt vor, in der offensichtlich bis vor Kurzem Schmucksteine bearbeitet worden waren. Die Einrichtung wirkte professionell, was den Schluss zuließ, dass Frau Thomsen ihre Arbeiten vermarktet hatte.
Neben einer Steinpoliertrommel und einer Diamantbohrspindel richtete Schmidt seinen Blickwinkel besonders auf die kleine Ständerbohrmaschine. Daneben, in einer Aufstellbox, befanden sich mehrere, winzige Bohrer, die wahrscheinlich dazu dienten, die Schmucksteine mit Löchern zu versehen, sodass dünne Lederbändchen hindurchgezogen werden konnten. Isabell untersuchte derweil das seitliche Bord, wo sie ein Kästchen entdeckte, das Gesteinsreste, also Abfallprodukte enthielt, die durch die Bearbeitung entstanden waren. Inzwischen hatte Schmidt die Mini-Bohrer sicherstellen lassen. Dann wies er den Kollegen an, in dem Kästchen nach winzigen Metallspänen zu suchen, die durch das Anbohren der Flaschendeckel angefallen sein mussten.
Doch wo war das Gift und die Spritze mit der die Thomsen dieses in die Fläschchen injiziert hatte? Vielleicht war das außerhalb der Wohnung versteckt? Schmidt trat ins Freie, um das Gebäude und den Garten einer näheren Untersuchung zu unterziehen. Staatsanwalt Bremer traf er draußen an; dass dem inzwischen das Treiben der geschäftigen Routiniers offensichtlich langweilig geworden war, konnte er ihm nicht verdenken.
Hinter dem Haus befand sich ein Bretterverschlag, in dem einige Gartengerätschaften untergebracht waren, aber auch hier war Schmidts Suche nach Beweismitteln erfolglos. So blieben ihnen für eine Laboruntersuchung nur noch die kleinen Bohrer übrig. Immerhin, wenn an diesen – so hofften Isabell und Schmidt –
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