Tyrannenmord
Nordstraße empfing sie das warme, späte, wie durch einen Weichzeichner gefilterte Licht eines bereits fortgeschrittenen Spätnachmittags. Der übliche Feierabendverkehr war noch in Gange und diejenigen, die sich aus der Stadt heraus in Richtung ihrer heimischen Dörfer bewegten, waren jetzt in der Überzahl.
Als die Maschine schließlich in den Strandweg einbog, sahen sie, wie gerade eine rote Husqvarna 125 sich unversehens vom Vorplatz des Bikertreffs löste und ihnen mit hastig hochgeschalteten Gängen in voller Dröhnung entgegenkam. Durch den Helm und das heruntergeklappte Visier hinreichend entstellt und die weiblichen Formen unter maskuliner Kluft verborgen, hätte die Kneipenwirtin fast unerkannt entkommen können, wenn nicht ihr rotes, strähniges Nackenhaar im Fahrtwind hinter ihr her geflattert wäre.
»Nur ein paar Sekunden und die hätten wir ja soeben fast noch erwischt«, rief Schmidt und wendete mit erstaunlicher Behändigkeit die schwere Maschine. »Wollen doch mal sehen, wo die Motorbiene so eilig hinwill, mit dem Maschinchen wird unsere Gute hier bereits auf die sanfte Tour allemal fertig.«
An der Nordstraße bog die Wirtin erwartungsgemäß nach rechts in nördlicher Richtung ab, und die Verfolger ahnten, wo die Reise hingehen würde. Denn das schwarze Schlauchboot des flüchtenden Bandidos war direkt hinter den Ochseninseln im dichten Schilfgürtel einer kleinen Bucht unbemannt aufgefunden worden. Im gemeinsamen Zentrum von Padborg, wo dänische und deutsche Polizisten zusammenarbeiteten, wurde inzwischen vermutet, dass Sven Bothe sich in Richtung Kopenhagen aufgemacht hatte, um dort vorerst unterzutauchen.
Gut möglich, wenn nicht sogar sehr wahrscheinlich, dass Beate Thomsen unterwegs von dem Mann über das Handy vorgewarnt worden war und dass diese mit ihrem Geliebten ein Treffen ausgemacht hatte.
»Wäre ja nicht schlecht«, murmelte Schmidt eher zu sich, »wenn sie uns auf diese Weise zu Bothe führt. So könnten wir gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.«
Jedoch durfte die Frau keinesfalls den Braten riechen. Das hieße, dass sie genügend Sicherheitsabstand zu wahren hatten, und somit natürlich die Gefahr bestand, dass sie ihnen durch die Lappen ging.
»Auf die Dosis kommt es an«, bemerkte Schmidt nun deutlich lauter, aber für Isabell durch die Fahrgeräusche weiterhin unverständlich, »immer nur auf die richtige Dosis.«
Tatsächlich hatten sie soeben den Grenzübergang Kupfermühle passiert, wo seit dem Schengener Abkommen praktisch keine Passkontrolle mehr durchgeführt wurde. Nun ging die Verfolgung auf gut ausgebauten Straßen in Richtung Norden bis kurz hinter Haderslev weiter, wo die Wirtin auf einem Parkplatz eine Rast einlegte. Nachdem die beiden Beamten einen ebenfalls den Rastplatz ansteuernden Sprinter geschickt als Sichtschutz nutzen konnten, gelang es ihnen die Maschine relativ versteckt, gleich vorn in einer Parkbucht zwischen zwei Autos zu platzieren.
Die Wirtin hatte ihr Motorrad direkt am Toilettenhäuschen geparkt, in dem sie für einige Zeit verschwand.
Schmidt klappte sein Visier hoch. »Übrigens, Isabell, diese Tour veranstalten wir hier ganz privat auf eigene Kappe und wir sind zumindest erst mal nicht im Dienst. Bist du damit einverstanden?« Isabell, die ihren Helm gelüftet hatte, nickte kurz und zustimmend.
»Wenn sich die Sache hier irgendwann zuspitzen sollte, ich meine, wenn eine Festnahme abzusehen ist, können wir uns immer noch von unterwegs an die dänischen Kollegen vom GZ in Padborg oder direkt an die Polizei vor Ort wenden und im Übrigen«, ergänzte Paul, »sollten wir uns als Limit für die Verfolgung den Ort Halskov bei Korsör gleich hinter der Beltbrücke setzen.«
»Hey, Paul, da ist die Thomsen wieder«, machte Isabell ihren Vorgesetzten aufmerksam und die beiden Beamten sahen, dass diese ihr Handy gezückt hatte und offensichtlich mit jemanden telefonierte. Selbst auf die Entfernung konnte man an ihren fahrigen Bewegungen erkennen, dass sie angespannt und nervös war. Daraufhin verließ sie den Rastplatz und die Beamten folgten ihr kurz darauf, dabei wieder vorausfahrende Autos und Gespanne zur Deckung nutzend.
Ab Kolding, wo die Frau in östlicher Richtung auf die E 20 nach Odense wechselte, war die Beobachtung für die Verfolger wesentlich einfacher, da sie die Abendsonne nun links von sich wussten.
Schmidt hatte einen Abstand gewählt, der die Flüchtende in einen dunklen Punkt verwandelte, den sie gerade noch
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