Tyrannenmord
wissen, ob Ihnen in der fraglichen Nacht irgendetwas aufgefallen ist.«
»Was soll mir denn aufgefallen sein, ich habe, wie jeden Abend, mein Fernsehprogramm eingeschaltet und dann habe ich mich schlafen gelegt.«
»Okay, ist gut, danke, Herr Keim«, ruderte Schmidt zurück, der genug gesehen und eine Fortsetzung der Befragung für überflüssig hielt.
»Na, was meinst du dazu, Isabell?«, fragte Schmidt seine Assistentin, als sie das kurze Stück zu Hinz Henningsens Anwesen zu Fuß zurücklegten. »Sind Keims Angaben für dich glaubhaft?«
»Na ja, es klang alles sehr geölt, was er da von sich gegeben hat«, erwiderte Isabell. »Nehmen wir einfach mal an, dass er die Zeit hatte und den Pfeil abgeschossen hat. Schließlich hat er ja, wie wir jetzt wissen, einige Jahre in Arizona bei den Indianern zugebracht.«
»Und du meinst«, sagte Schmidt, »in der Zeit hätte er die Technik des Bogenschießens erlernen können?«
»Ja, warum denn nicht, ergänzte Isabell, »so ganz abwegig wäre das nicht, oder?«
»Nein, nein, natürlich nicht«, beeilte sich Schmidt zu antworten. Doch nehmen wir einfach mal an, dass er tatsächlich als Täter infrage kommt«, sinnierte Schmidt laut, »dann müssten wir das natürlich beweisen.«
»Ja, und das wäre beim jetzigen Stand unserer Ermittlungen einfach aussichtslos«, bestätigte Isabell. »Wir haben derzeit nur vage Indizien.«
»Ja, und nur mit dem Pfeil, der keine relevanten Spuren aufweist, kommen wir hier jetzt sowieso keinen Schritt weiter«, stellte Schmidt nüchtern fest. »Zum Pfeil gehört nun mal der Bogen, aber wo willst du anfangen zu suchen? In dem Gerümpel-Sammelsurium etwa, das den ganzen Vorgarten einnimmt?«
»Ne, würde ich nicht«, antwortete Isabell, »und eine Hausdurchsuchung wäre – die Befugnis mal vorausgesetzt – wahrscheinlich ebenfalls erfolglos. Oder könntest du dir vorstellen, wenn du der Täter wärest, dass du die Waffe in deinen eigenen vier Wänden aufbewahren würdest?«
»Nein, denn das würde wohl auch keinem einfallen, der wesentlich dümmer als Joe Keim wäre, und«, fügte Schmidt hinzu, »den ich übrigens für ziemlich integer halte.«
»Ja, das ist genau mein Eindruck, die Sache können wir uns also erst einmal abschminken, zumal wir ja noch nicht die Zeugenaussage des indianischen Freundes haben.«
»Keims Vater sollten wir übrigens gleich von unserer Liste streichen, bei der körperlichen und seelischen Verfassung wäre der gar nicht in der Lage, eine derartige Tat auszuführen«, beendete Schmidt ihr Gespräch, denn sie waren soeben bei Hinz Henningsens Hof angelangt.
Der Jäger hatte sie wohl bereits kommen sehen, denn er empfing die Beamten unter seinem Türrahmen. Henningsen konnte sich – gestützt auf die Aussage seiner gerade im Hause weilenden Schwester – eindeutig entlasten und verwies des Weiteren auf Telefonate mit einigen seiner Jagdkollegen, welche er angeblich zur Tatzeit geführt haben wollte.
Seinen Gewehrschrank ließ er freimütig von den Beamten inspizieren, obwohl das – wie Schmidt fand – nicht sonderlich bedeutsam war. Denn wenn Henningsen tatsächlich in dem Besitz einer derartigen Präzisionswaffe war, wie sie bei dem Mordanschlag verwendet wurde, bewahrte er diese sicherlich woanders auf. Und für einen Hausdurchsuchungsbefehl würde der Verdacht nicht reichen.
Erika Long war die nächste potenzielle Verdächtige auf der Liste der beiden Ermittler. Das Anwesen stand so nahebei, dass Schmidt und Isabell die paar Schritte zur privaten Tierauffangstation weiterhin zu Fuß erledigten. Auf ihr Läuten mit der alten Schiffsglocke, die die Haustür der kleinen, weißgekalkten Reetdachkate zierte, öffnete niemand und so begaben sie sich schließlich seitlich am Haus vorbei, um auf den hinteren Teil des rundum von einem dichten Knick umgebenden Grundstückes zu gelangen.
Dort gewahrten sie eine ältere, dunkelhaarige Frau von eher zierlicher Gestalt, die inmitten von Volieren und Kleintierställen gerade einem Raubvogel mittlerer Größe auf Holzstäbchen aufgespießte Fleischstückchen darreichte. Sie war wie immer ganz mit ihrer Sache beschäftigt, sodass sie die beiden Ermittler erst wahrnahm, als diese bereits neben ihr standen.
»Kriminalpolizei«, Schmidt hob seine Dienstmarke empor, um gleich etwaigen Missverständnissen vorzubeugen. »Wir hätten mal ein paar Fragen an Sie, Frau Long – Sie sind doch Erika Long?«
»Ja, das bin ich in der Tat und schon immer gewesen. Um
Weitere Kostenlose Bücher