Tyrannenmord
gut erkennen konnten. War diese Strategie auf gerader Strecke kein Problem, wurde sie jedes Mal zur Zitterpartie, wenn sich die Vorausfahrende durch Kurven oder Hügel ihren Blicken entzog. Nahte eine Ortschaft, galt es, die Entfernung zwischen den Maschinen drastisch zu verringern, denn wie leicht konnte die Frau dann links oder rechts abbiegen und für immer hinter einer Häuserzeile verschwunden sein.
Kurz vor Odense sahen sie, wie die Husqvarna rechts auf eine Tankstellenanlage mit Rasthaus einbog. Waren ihr die beiden Beamten trotz des eingehaltenen Abstands etwa aufgefallen und versuchte die Wirtin so Gewissheit zu erlangen, ob sie tatsächlich verfolgt wurde? Oder musste sie tanken und wollte nur einfach mal Pause machen und einen Happen essen?
Am Ende dessen, was da in Sekundenschnelle und ohne groß abzuwägen eine Entscheidung verlangte, entschloss sich Schmidt, am Rastplatz vorbeizufahren, um einen Ort zu finden, wo sie in Ruhe auf Frau Thomsen warten konnten, ohne selbst dabei entdeckt zu werden.
Doch das gestaltete sich zunächst schwieriger als erwartet, denn in unmittelbarer Nähe breiteten sich links und rechts nur flache Äcker und Wiesen aus, wo keinerlei Deckung gegeben war. Schließlich fanden sie ein paar Kilometer weiter am Straßenrand eine Insel aus dichtem Gesträuch, das genügend Sichtschutz bot, aber dennoch für ihr Vorhaben nur bedingt geeignet war, da sie eigentlich direkt die Ausfahrt des Rasthauses hatten überwachen wollen.
»Ich gebe ihr höchstens weitere zehn Minuten«, brummte Schmidt ein wenig ungehalten über die sich selbst verordnete, unprofessionelle Überwachung.
»Endlich können wir uns einmal, ohne ständig gegen Fahrgeräusche anschreien zu müssen, austauschen«, bemerkte Isabell und holte hörbar Luft.
»Was vermutest du denn inzwischen, Paul? Was glaubst du, ist definitiv ihr Ziel?«
»Ich denke mal, dass dieser Sven Bothe, angeblich amtierender Präsident der Bandidos, auf dem flachen Land überhaupt nichts bewegen kann«, antwortete Schmidt und öffnete derweil seine Satteltasche. »Er wird daher bestrebt sein, sich irgendwie nach Kopenhagen durchzuschlagen, wo er mit der früheren Szenerie rechnen kann. Wie er letztlich zu seinem Täubchen steht, weiß ich nicht. Vielleicht will er sich nur ihrer versichern und fürchtet, dass sie singen und den vordem gemeinsamen, an Andy Thomsen gerichteten Mordplan der Polizei verraten könnte.«
Isabell goss sich Kaffee aus Schmidts Thermoskanne ein und biss dazu in ein Sandwich. »Das hört sich eigentlich alles so weit ganz plausibel an, Paul«, pflichtete sie ihrem Vorgesetzten bei, während sie den letzten Bissen mit dem Rest Kaffee aus ihrem Becher hinunterspülte.
»Ja, ich denke, da liegen wir wohl richtig«, antwortete Schmidt. »Immer weiter in östlicher Richtung würden wir direkt Nyborg erreichen und anschließend käme die Beltquerung bis nach Korsør herüber. Und dann sehen wir weiter.«
»Okay, Paul, das findet soweit meine Zustimmung, nur jetzt mal ganz brandaktuell, findest du es nicht inzwischen merkwürdig, dass die Frau sich mit ihrem Zwischenstopp reichlich Zeit lässt?«
»Klar, natürlich, du hast recht, Isabell, ein Fünf-Gänge-Menü wird sie ja gerade nicht bestellt haben«, erwiderte Schmidt, während er sich den Helm aufgesetzt und die Esssachen in der Packtasche verstaut hatte. »Na denn man los!«
Die Kawasaki ließ es sich nicht zweimal sagen, und binnen einer halben Minute erreichten sie den Rasthof, dennoch sollte sich die bereits in Isabells letzter Bemerkung mitschwingende Befürchtung schon im nächsten Moment zu einem unheilvollen Gefühl der Gewissheit verdichten. So entdeckten die beiden Fahnder weder eine Spur von der Frau noch ihr Krad.
»Verdammt«, machte Schmidt seinem Ärger Luft, ich fürchte, die feine Dame hat Lunte gerochen!«
»Oder es war nur eine reine Vorsichtsmaßnahme von ihr«, antwortete Isabell, die sich von dem bisherigen Verlauf nicht aus der Ruhe bringen ließ. »Du solltest die Frau nicht unterschätzen, Paul!«
»Okay, okay, wenn wir also weiter davon ausgehen, dass ihr Ziel Kopenhagen oder zumindest Seeland ist, kann sie nur die ältere parallele Strecke nach Nyborg oder den südlichen Umweg über Rolstedt beziehungsweise Ellinge genommen haben.«
»Möglich wäre aber auch«, gab Isabell zu bedenken, »dass die Frau abseitig der Strecke ihren Freund aufgelesen hat.«
»Kann gut sein«, antwortete Schmidt, »also los, wenn wir uns beeilen,
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