Über Alle Grenzen
sagte Kalu Rinpoche. “Wenn du die beiden da drüben dazu bewegst, hierher zu kommen, wirst du allen Wesen nützen können.” Dabei zeigte er auf ein vorzeitig gealtertes Arbeiterehepaar. Der Mann sah aus, als käme er aus den Minen, und keiner der beiden schien ein leichtes Leben zu haben. Ich setzte mich also zu ihnen und erzählte, wer Kalu Rinpoche sei. Ihre Mundart war für mich schwer zu verstehen, wohl genauso wie mein Schulenglisch für sie. Aber das Vertrauen war sofort da, und innerhalb von zehn Minuten kamen sie an Kalu Rinpoches Tisch. Sie nahmen seinen Segen entgegen, und er war froh.
Kurz vor dem Abflug geschah noch ein drittes besonderes Zeichen. Als ich mich von einem Mädchen aus Wien verabschiedete, legte ich meine Stirn gegen die ihre, und plötzlich entstand eine Europakarte vor mir. Auf dieser waren eine Menge strahlender Lichter zu sehen - vor allem in der Mitte und im Osten -, und ich wusste, dass dort unsere zukünftigen Zentren blühen würden.
Während des Herbstes mussten Hannah und ich östlich des Rheins einen großen Teil der früheren Arbeit wiederholen. Unsere eigenen nahen Lehrer-Schüler-Bände innerhalb der Kagyü-Linie waren jahrelang tatsächlich ein Hindernis für das Wachstum. Natürlich war es wunderbar, Kalu Rinpoche und später sogar Karmapa überall zu unseren Freunden zu bringen. Es wäre auch unmöglich gewesen, die Rinpoches alleine durch Europa reisen zu lassen. Doch wenn wir nicht da waren, gab es in den Zentren nur wenig Ausrichtung auf die Linie und kaum Zielstrebigkeit.
Unter einem Himmel voll Regenbögen landete Karmapa am 17. Oktober 1974 in London auf dem Weg nach Amerika, und es gab Zeit für viele Segnungen. Ansonsten waren wir ausgefüllt mit Reisen, Unterrichten, dem Beantworten ständig wachsender Briefstapel und dem nötigen Geldverdienen. In Kopenhagen behinderte uns leider ein launischer Lama aus Sikkim, der später nach Stockholm weitergeschickt wurde und nach einer weiteren Versetzung in San Francisco die Gerüchteküche in Gang hielt. Kalu Rinpoche hatte ihn dem Zentrum “geschenkt”, und er kostete vor allem Hannah eine Menge Zeit.
Zu meiner großen Freude fing jetzt das kraftvolle Herz Europas zu schlagen an. Deutschland begann im Norden, im Süden und in der Mitte zu erwachen. Meine erste Gruppe in München war zwar nach Südamerika gezogen, um dort im Dschungel zu leben; aber in Duisburg, Hamburg und in der Nähe von Kiel geschah viel Spannendes. Ich erahnte die Möglichkeiten für großes Wachstum. Wie alles andere in diesem Land würde auch der Buddhismus stark werden.
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10. Pawo Rinpoche Tsuglag Nangwa Wangchuk (1912-1991)
Die Pawo-Inkarnationslinie gehört zu den wichtigsten in der Kagyü-Linie und soll bereits in einem verborgenen Text Guru Rinpoches vorhergesagt worden sein. Verschiedene Pawo Rinpoches gehörten auch zu den “Schatzfindern”, die verborgenen Texten von Guru Rinpoche auf die Spur kamen. In Tibet hatten die Pawo Rinpoches ihren Sitz traditionell im Kloster Nenang.
Der zehnte Pawo Tulku Tsuklag Nangwa Wangchuk wurde 1912 geboren und mit drei Jahren vom 15. Karmapa Khakjab Dorje anerkannt, bei dem er bis zu dessen Tod im Jahre 1922 blieb. Auch zum 16. Karmapa hatte Phawo Rinpoche eine nahe Verbindung. Nach seiner Flucht aus Tibet 1959 wurde der als sehr gelehrt geltende Pawo Tulku für einige Jahre Sanskrit-Professor an der indischen Universität von Benares. Später ging er nach Bhutan, bevor er sich in Frankreich niederließ und ein Retreatzentrum aufbaute. Kurz vor seinem Tod kehrte er nach Asien zurück und starb 1991 nahe der berühmten Bodnath-Stupa in Nepal.
Karmapa kommt
Das Jahr 1975
30.4. Bedingungslose Kapitulation Südvietnams und fluchtartiger Abzug der letzten US Truppen und ca. 30.000 Zivilisten aus Vietnam. Saigon wird in Ho-Chi-Minh-Stadt umbenannt. Kambodscha kapituliert vor den Roten Khmer, Lon Nol (*1913) flieht in die USA.
Ende der Diktatur in Spanien nach Tod von General Franco. Seinem Testament entsprechend wird Juan Carlos I. (*1938) König von Spanien.
Heftige Kämpfe im Libanon zwischen Christen und Moslems.
Am 10. Dezember kam die Tatkraft aller Buddhas selbst, um unseren wunderschönen Teil der Welt zu bereichern: Karmapa landete in Oslo. Schon am Flughafen stand alles unter Strom. Wir stürmten durch den Zoll zu Karmapa und waren ganz benommen vom Segen. In seinem Kraftfeld schüttelte es mich wie immer [3] . Im Nachhinein betrachtet muss es eine ziemliche Show gewesen sein.
In
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