Über Alle Grenzen
während ich die Freunde im Bus umhergehen ließ, um die Beamten zu verwirren. Gleichzeitig versteckten wir Lisbeth ganz hinten unter dem Gepäck. Als die Pakistani schon am Aufgeben waren, fielen wir aus allen Wolken. Ein etwa einen halben Meter langes, englisch geprägtes Gesicht mit Schnurrbart bewegte sich um den Bus und schaute gemächlich zu den Fenstern herein. Ich schickte Morten, den mit 2,10 Metern größten Mann der Gruppe, hinaus, um ihn abzulenken. Morten konnte fast unter dem ausgestreckten Arm des Riesen stehen.
Wir wollten durch die nordwestliche Ecke Indiens in Richtung Kaschmir und Ladakh fahren. Diesen Teil der Himalaya-Vorberge kannten Hannah und ich noch nicht. Wir besuchten mehrere kraftvolle Stellen wie Mandi, wo Mandarava, Guru Rinpoches erste Hauptfrau, gelebt hatte. Das Gebiet hat etwas Koboldhaftes, und die Tibeter sagen, dass hier Schlangengeister wohnen.
Srinagar liegt in einem idyllischen Tal in Kaschmir. Der Ort war jedoch aufdringlich und unausstehlich, wie leider so viele Städte der Moslems. Die Männer klebten an einem und versuchten, einen zu betrügen oder sich interessant zu machen, und die Frauen waren nicht zu sehen. Hannah und ich hatten natürlich der Gruppe geraten, uns bei Einkäufen über zehn Dollar zu fragen. Dennoch kauften ein paar Dänen, die immer alles besser wussten, einige der schlechtesten Nachahmungen tibetischer Kunst, die ich jemals gesehen habe. Sie kamen stolz mit ein paar Möchtegern-Rollbildern zurück, die offensichtlich von Nicht-Buddhisten in einem Blindenheim gemalt worden waren. Wir mussten drohen, ein Hausboot niederzubrennen, bevor sie wenigstens einigermaßen gute Teppiche für die Hunderte von Dollars bekamen, die sie bezahlt hatten.
Srinagar
Unsere Busse hatten etwa die doppelte Länge der einheimischen Fuhrwerke, und schon auf der Strecke nach Srinagar waren wir mehrmals kaum durchgekommen. Das letzte Stück über Kargil und den 4,7 Kilometer hohen Pass ins Leh-Tal sollte noch schmaler und kurviger sein. Also wechselten wir auf die nachgebauten Mercedes-Minibusse und mussten uns auf die hiesigen, Haschisch rauchenden Fahrer verlassen. Das Land ist schon erstaunlich lange moslemisch, obwohl jeder Stein auf der Straße “Tibet” schreit und überall zerstörte Stupas stehen. Erst nach einer pechschwarzen Nacht im Dorf Kargel spürten wir, wie sich der eiserne Griff des Islam lockerte. Die Stimmung wechselte völlig; Frauen tauchten auf, die Leute entspannten sich und redeten jetzt ein sehr putziges und kompliziertes Buch-Tibetisch.
Der eiserne Griff des Islam lockert sich
Leh war im Grunde eine traurige Angelegenheit, ein verlorenes Stück Tibet. Riesige halb oder ganz verfallene Lehmgebäude ragten überall in den Himmel. Mächtige verwahrloste Klöster und Schlösser waren in Auflösung begriffen. Eine alkoholisierte Bevölkerung buddhistischer Bauern wurde immer stärker von besser ausgebildeten Zuwanderern aus Kaschmir beherrscht. Diese hatten bereits die Zukunftsgewerbe Fremdenverkehr und Gütervertrieb in der Hand. Hätten wir genug Körper zur Verfügung gehabt, hätten wir gerne einige dort oben gelassen, um eine Schulausbildung für die Einheimischen zu sichern. Ohne diese waren die Ladakhis dazu verdammt, einer der vielen ausgebeuteten Volksstämme Asiens zu bleiben.
Bei der Ankunft dachte ich vor allem daran, dass Ladakh ein ehemaliger Teil Tibets ist, den wegen seiner Trockenheit keiner haben wollte. Aus dem Bus gestiegen, spürten wir die Höhe: Unsere Lungen brannten. Mit Verantwortung für so viele in einem unbekannten Land gab es genug zu laufen, und in 3,5 Kilometer Höhe mit Rucksack und ohne Übung tat das weh.
Niels handelte die Hotels auf einen angemessenen Preis herunter, und am nächsten Morgen ging die Fahrt zu den einmaligen Klöstern der Gegend los. Mehrere waren vor über tausend Jahren gebaut worden, zu einer Zeit, als das Schmelzwasser einiger Gletscher das Land noch fruchtbar machte. Sie waren um Jahrhunderte älter als die meisten in Tibet. Unter einem unfassbar blauen Himmel bewegten wir uns zu Fuß und auf den Ladeflächen der Lastwagen durch eine mondähnliche Landschaft. Zuerst sahen wir das Erlaubte. Die spannenden Lama-Tänze aber fanden in dem für Touristen verbotenen Gebiet im Chamde-Kloster statt, einem Stück Ladakh, in dem die Chinesen jedes Jahr Straßen bauten und den Indern Land wegnahmen. Die indischen Soldaten, die sie dabei fingen, schickten sie zu einer “Ausbildung” nach Peking
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