Über Alle Grenzen
und ließen sie dann wieder frei. In ihrer Kultur galt das als eine ausgesprochene Verhöhnung.
Die Lamatänze
Drukchen Rinpoche und Dugpa Rinpoche, die wir aus unseren Jahren in Darjeeling im Ost-Himalaya kannten, waren im Chamde-Kloster zu Besuch. Wir versteckten uns hinten auf den Lastwagen, und bei der Ankunft verschwanden alle aus der Gruppe samt Gepäck in einem Augenblick von der Straße.
Der Weg den Berg hinauf war schwierig. Die Starken mussten für alle tragen, aber das war es wirklich wert. Plötzlich waren wir tausend Jahre in der Zeit zurückversetzt. Wir standen auf einer pastellfarbenen Bergspitze mit einer unglaublichen Aussicht. Alles hatte Sinn, war zauberhaft, und viele Meister des Geistes hatten hier ihre Kraftfelder hinterlassen. Hunderte Einheimische saßen zusammengekauert auf den Mauern und schauten in den tiefen Hof, in dem sich Pujas und Tänze miteinander abwechselten. Die Stimmung steigerte sich noch während der Nächte; die Leute sprangen stundenlang auf ihre Sitze und wieder rückwärts hinunter oder liefen laut schreiend durch die Gassen. Die gemeinsamen Trancezustände verstärkten sich ständig, jeder bekam einen Geschmack der uralten und vergessenen Kraft von Körper und Geist. Als alles vorbei war, liefen wir in der zweiten Nacht bei Vollmond den Berg hinunter und wanderten einige Stunden in Richtung Leh zum Hemis-Kloster, unserem nächsten Ziel.
Bei den Tänzen in Ladakh
Als die Sikhs vor über hundert Jahren das Land zerstörten, war das Kloster von den Plünderungen verschont geblieben. Da es in einem Pappelhain versteckt liegt, hatten die vorbeiziehenden Eroberer die Gebäude übersehen. Dafür kamen nun die Touristen, und das Ergebnis war nicht besser. Schon bei unserer Ankunft benahmen sich die Mönche unverschämt. Mein üblicher kumpelhafter Stil nützte diesmal kaum, denn sie mochten uns einfach nicht. Um zu verhindern, dass wir fotografierten, öffneten und schlossen sie ständig die Tür, bis ich den Geschäftigsten von ihnen eine Zeit lang hochhob, die Arbeit getan werden konnte und es am Ende kein Trinkgeld gab. Sie waren wirklich zu weit gegangen, wir gehörten immerhin der gleichen Linie an.
Nachdem wir alles besichtigt hatten und eine Tasse Tee am Straßenrand tranken, bezeichnete ein begabt aussehender, aber betrunkener Mann mich ständig mit dem Titel Gelong. Das bedeutet: voll ordinierter Mönch mit 254 Gelübden, inklusive Zölibat und Alkoholverbot. Ich zeigte ein paar Mal auf Hannah neben mir und machte ihn darauf aufmerksam, dass mein Leben so mehr Sinnesfreuden habe. Dann fragte ich ihn, was er selber sei. “Auch Gelong!”, sagte er und erhob sein Glas. Ich verstand, dass sie hier die Sache nicht so eng sahen, und er war wohl der begabteste und offenste Mann, dem wir in Ladakh begegneten.
Am Indus-Fluss zwischen Leh und der tibetischen Grenze lag ein Flüchtlingslager, in dem der Dalai Lama später die Große Rad der Zeit -Einweihung gab. Dort hatte ein tapferer Schüler Karmapas ein kleines Kloster mit einem enormen Hof gebaut und eine Menge vergnügter Schüler um sich gesammelt. Es war gut, dass es ihn gab, denn das Flüchtlingslager war so ziemlich das Trostloseste, was wir jemals gesehen hatten. Die Häuser bestanden oft nur aus einem dünnen Stück Stoff über schulterhohe Zementmauern gespannt und hatten weder Tür noch Fenster. Der Winter dort - bei der schlechten Ernährung - musste unfassbar hart sein. Wir schenkten den Familien, die unter den schlimmsten Bedingungen lebten, die norwegischen Filzschuhe. Leider erschienen einige davon schon auf dem Markt, noch bevor wir wieder abreisten. Entweder waren die Flüchtlinge total verschuldet, oder der Winter war noch so weit weg, dass Essen oder Alkohol ihnen wichtiger waren.
Eine Einweihung von Situ Rinpoche
Die Bewohner aus dem Kloster und unsere Gruppe verstanden sich sofort, und zu unserer Freude konnten wir Tai Situpa einladen, einen Monat im Kloster zu lehren. Er brachte den rundlichen, recht aufbrausenden Drubpön Dechen Rinpoche mit, der später in Tibet eine Uhr, die Pedro Gomez ihm schenken wollte, mit der Begründung ablehnte, dass er durch seine ständige Arbeit für Karmapa keine Zeit hätte, darauf zu schauen. Die Begegnung war auch für die Rinpoches ein Lehrstück, wir waren ja die erste weiße Pilgergruppe überhaupt.
Tai Situpa verließ als erster der vier Linienhalter sehr früh Rumtek. Er baute im West-Himalaya sein eigenes Verbindungsnetz auf, obwohl Karmapa ihn
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