Über Alle Grenzen
könnte ich helfen. Als ich in den Kreis trat, öffneten sich viele Ebenen. Sie waren alle gleichzeitig in der Freiheit des Raums vorhanden, ohne sich im Geringsten auszuschließen. In der Mitte lag ein toter Mann. Er muss wohl um die vierzig Jahre alt gewesen sein, sah aber aus wie siebzig. Er lag auf dem Rücken, war unrasiert, und sein Mund war voll von frischem Blut. Neben ihm lag ein Stück Hüftknochen in einem kleinen See von Blut, das zu gerinnen begann und in der Sonne glänzte. Um ihn herum standen die anderen Männer, schlecht ernährt und im Schock, wie eine Herde Kühe um die eine, die umgefallen ist. Den Hintergrund bot der schneebedeckte malerische Ararat, ein Vulkan, der gleichförmiger ist als der Fuji in Japan. Der tiefblaue, wolkenfreie Himmel war grenzenlos, und während ich die Augen des Verstorbenen schloss, dachte ich an seine Angehörigen, die jetzt ihren Versorger verloren hatten. Ich kümmerte mich um sein Weiterkommen und wusste gleichzeitig mit großer Freude, dass mein Geistes zu keinem Augenblick irgendetwas ausgegrenzt hatte, während mein Körper alles Nötige ausführte.
Die Iraner waren unangenehm. Sie hatten den Stolz über das viele Ölgeld ihrem wenig anziehenden Nationalcharakter hinzugefügt. Auf dem Weg durch das Land fuhren wir mehrmals an militärbewachten Opium-Feldern vorbei. Jemand mit den richtigen Verbindungen war anscheinend dabei, sich einen saftigen Nebenverdienst zu verschaffen. In Maschad mussten wir mit Gewalt ein paar Mitglieder unserer Gruppe aus den Klauen der Mullahs in einer großen Moschee befreien. Sie waren in einen besonders heiligen Raum eingetreten und sollten deswegen zwangsbeschnitten werden.
Wir alle hatten uns sehr nach Afghanistan gesehnt. Damals konnte man sich dort entspannen und wenigstens einigermaßen normal benehmen. Mitte Oktober durchquerten wir das Land; die Strecke war die übliche über Herat, Kandahar, Kabul, Jalalabad und den Khyber-Pass. Das Land war so, wie wir es von früheren Reisen kannten. Die Natur war beeindruckend, und kurz hinter Herat sahen wir sogar zehn Wirbelstürme, die gleichzeitig den Sand aufrissen. Als wir mit voller Geschwindigkeit über einen Damm fuhren, platzte das rechte Vorderrad. Hätte Björn den überladenen Bus nicht so schnell anhalten können, wäre es einigen aus der Gruppe weniger gut ergangen.
Der Khyber-Paß
In Kabul zeigte unsere Gruppe ihre guten Gefühle für Afghanistan, indem sie eine Menge unnützer Sachen kaufte. Abends im Hotel mussten wir zuerst gebrauchte Spritzen aus den Matratzen schütteln, bevor wir uns auf sie legen konnten. Damals hieß die Gefahr Gelbsucht und noch nicht Aids.
Bereits in Dänemark hatte ich die Übertragung für Diamantgeist gegeben, und der Bus summte rund um die Uhr sein hundertsilbiges Mantra. Es holt alles Störende aus dem Unterbewusstsein hervor und reinigt es blitzschnell. Was auch hinter uns fuhr, sei es der zweite kleinere Bus oder ein fremdes Auto, brach mehrmals zusammen. Es war, als würde sich ein Teppich schlechter Schwingungen auf der Straße hinter uns auswälzen und nur allmählich verschwinden.
Kurz vor Jalalabad, im Osten des Landes, stehen alte buddhistische Haddastupas. Vor über tausend Jahren hatten die Moslems den Statuen die Nasen abgeschlagen, damit sie nicht atmen konnten, aber man spürte noch immer ihren Kraftkreis. Dort ritten wir auch auf Kamelen, wohl das Sonderbarste, was man sich als Verkehrsmittel vorstellen kann.
Unsere Fahrer zeigten auf der Straße durch den engen Khyber-Pass wirklich ihre Tüchtigkeit. Als wir in der “Tribal Area” ankamen, die weder Engländer, Pakistani noch Russen haben beherrschen können, bestand ich darauf, nachts durchzufahren. Man riet uns stark davon ab. Sogar die Köpfe von Westlern landeten dort leicht auf Stangen, aber wir hatten keine Zeit, vorsichtig zu sein. Wenn wir unser Bestes taten, mussten die Schützer den Rest schaffen.
Die Fahrt ging fast rund um die Uhr weiter, und alle hatten inzwischen furchtbare Rückenschmerzen von den kaputten und fast senkrechten Sitzen. Geschlafen wurde im Viertelstundentakt, doch wir kamen stetig voran. Viele wurden zum ersten Mal zäh; die meisten lernten, Unangenehmes als Reinigung zu sehen und diese wiederum als Kraftprobe.
Pakistan durchfuhren wir an einem Tag. Lisbeth, eine kleine Wirrköpfige, verlor ihren Pass an der Grenze und musste durchgeschmuggelt werden. Die Pakistani merkten, dass etwas nicht stimmte, und zählten immer wieder durch,
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