Über Alle Grenzen
verdiente, und Karmapa sagte zu Barry: “Wenn du jemals Lama Ole anheuerst, musst du ordentlich zahlen.” “Natürlich”, hatte Barry versprochen. Augenzwinkernd hatte Karmapa geantwortet: “Du kannst sowieso nicht bezahlen, was er wert ist.” Ich war aber nicht unzufrieden. Zehn Dollar steuerfrei pro Stunde für das Einreißen von Mauern waren damals nicht schlecht.
Ich arbeitete in einem riesigen alten Haus in der 168. Straße in Harlem. Es lag gegenüber dem Presbyterian Krankenhaus und sollte später Betten für die Leute bieten, die es sich nicht leisten konnten, jenseits der Straße krank zu werden. Der Vorschlaghammer war schön schwer, und ich verschwendete keine Zeit. Als die Wände kippten und wir bis zur Decke gefüllte Kellerräume leerten, lernte ich die letzten siebzig Jahre der materiellen Geschichte Amerikas gut kennen: Welch eine Verschwendung von Rohstoffen! Wir arbeiteten wie die Pferde, und täglich kam Barry in seinem roten Cadillac vorbei. Gegenüber war es auch nicht langweilig. Offenbar lief irgendwo ein Bandenkrieg. Jede Viertelstunde heulten Krankenwagen, einigen Kunden war der Kopf halb weggeschossen worden. Die Gewaltausbrüche der Puertorikaner und anderer Latinos waren weniger einschätzbar als die der Schwarzen. Diese hatten jahrelang die gleichmäßigere Mordquote, bis Crack Mode wurde und die Ghettokinder Maschinenpistolen kauften.
Inzwischen waren die Verbindungen im Westen Amerikas herangereift, und es wurde Zeit, weiterzufahren. Ich wählte das bewährte amerikanische Fahrzeug des “armen Mannes”, den Greyhound-Bus. Für hundert Dollar konnte man innerhalb von zwei Wochen durch das ganze Land reisen. Man sah viel und durfte die Fahrt unterbrechen, wo immer man wollte. In und um die Busbahnhöfe wohnte die unterste Unterschicht Amerikas, oft unter unfassbaren Bedingungen.
In Chicago gab es ein paar gute Veranstaltungen. Durch die gestellten Fragen wurde klar, dass hier erstaunlich viele Frauen Schwierigkeiten mit Zorn hatten. In New York überwog dafür die Eifersucht. Eine Fahrt durch die Stadt belebte die Eindrücke von dem früheren Besuch mit Hannah: Die dicke Schaumschicht an einigen Seeufern kam noch dazu, ebenso wie die “Gammler” - damals eher König Alkohol als den Drogen zusprechend -, die sich in ihren zu großen Mänteln vor dem tränentreibenden Wind zu schützen versuchten. Glückliche Menschen sah ich selten.
Da der Winter vor der Tür stand, wollte ich zuerst den nördlichen Teil der Westküste ansteuern. Die Fahrt ging über Denver, wo betrunkene Indianer mit märchenhaften Geschichten im Busbahnhof Geld erbettelten, nach Salt Lake City, die saubere, aber humorlose Hauptstadt der Mormonen. Es sieht dort aus, als sollten die übergroßen öffentlichen Gebäude die Bürger gegenüber der göttlichen Ordnung gehörig klein machen. Neben der Straße nach Portland, Oregon, diesmal in einem Trailway-Bus, lag im Graben ein Auto auf dem Dach. Ich bat den Fahrer anzuhalten und sprang hinaus. Glücklicherweise brauchte keiner Hilfe, aber als ich erleichtert zum Bus zurückkehrte, rollte der Fahrer einfach davon. Gleich darauf kam ein Auto vorbei, das mich mitnahm, doch bei der amerikanischen Schneckengeschwindigkeit dauerte es lange, bis wir den Bus überholen und anhalten konnten. Der Fahrer sah aus wie eine Leiche. Während einige Mitreisende ihm gründlich die Meinung sagten, tat er mir leid. Ich fragte mich, wie lange man in Enge und Zorn leben musste, um Leute in Hemdsärmeln einfach in der kalten Wüste stehen zu lassen.
Die farbenreiche Hochsteppe bei Antelope im Staat Oregon hatte schon damals eine besondere Schwingung. Dort legte sich später der Bhagwan seine Sammlung von 95 Rolls-Royce zu, und Tausende seiner Anhänger boten den Feinden östlicher Geistigkeit reichliche Angriffsflächen. Das meiste war nach außen hin recht gut gegangen, bis Bhagwan den Fehler machte, öffentlich Hitler positiv mit Gandhi zu vergleichen. Von da an war sein Ende nur noch eine Frage der Zeit.
Nach dem dichten Regenwald der Kustberge erreichte ich Portland, wo Nancy wartete. Sie war eine willensstarke Frau und öffnete mir die nördliche Hälfte der amerikanischen Westküste. Nancy war froh, einen Lehrer gefunden zu haben, mit dem sie direkt umgehen konnte. Menschliche Unzulänglichkeiten hatten lange ihre Arbeit für die Tibeter gehemmt, und sie war erleichtert, dass ich nicht vorgab, Mönch zu sein. Schon damals zeigte sich mancherorts, dass dies im Westen nicht
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