Über Alle Grenzen
die Belehrungen tief in den Geist.
Dieser Lehrstil sollte jetzt bei den am meisten verwöhnten und verwirrten Zuhörern der Welt geprüft werden, der geistigen Gemeinde in und um San Francisco, wo sich Gurus selten lange halten. Nirgendwo waren Vertrauen und Freundschaft wichtiger für die Arbeit. Von dort aus und die Küste südwärts bis Mexiko gab es eine zusätzliche Freude: an Stellen zu arbeiten, die Karmapa bereits gesegnet hatte.
Barbaras Zentrum war ein schön gelegenes Holzhaus auf einem Hügel südöstlich der Stadt. Es lag wenige Minuten nördlich des Computergebiets Kaliforniens, in einer sehr teuren Wohngegend. Da Erfolg leider viel Zeit kostet, fanden pro Woche nur ein bis zwei Begegnungen mit den Leuten statt.
Mehr Muße gab es in der westlichen Küstenstadt Santa Cruz, ein Strandparadies für meist lesbische Damen. Ich verbrachte die meiste Zeit unter den frischen Menschen, schrieb an neuen Büchern und teilte unzählige Freuden während dieser gesundheitlich noch unbedenklichen Zeit.
Die Gruppe zog mehrmals um. Kurz bevor ich ankam, hätte es sogar genug Leute für ein großes Zentrum gegeben. Doch dann kam der Lama aus San Francisco, den Kalu Rinpoche inzwischen von Stockholm hierher geschickt hatte. Sein Geschick hatte sich seit Kopenhagen nicht verbessert. In unbeholfenem Englisch erzählte er die Geschichte von einem Heiligen, der Erleuchtung erlangte, indem er die Würmer aus den Wunden eines Hundes leckte. In Asien hören die Leute dabei immer sehr fromm zu, doch für Sunny-Surfing-California war das nicht gerade die passende Belehrung. Die Menschen verließen angeekelt die Stelle und kamen nie wieder.
An der Universität in Santa Cruz war eine große Tagung geplant. Sie nannte sich “Psychology 2000” und änderte grundlegend meine Vorstellung von Geistigkeit. Hier sollte ich sowohl Europas Avantgarde als auch den tibetischen Buddhismus vertreten. Als ich die Treppe zum Saal hochgesprungen kam - wie schon öfter zu spät -, glaubte ich zuerst, in eine Bauernmesse über Zierpflanzen geraten zu sein. Alle ausgestellten Bücher zeigten Grünes. Dann sah ich, um welche Gewächse es sich drehte: Hanf, Meskalin, Ergot - der Rohstoff für LSD - und Psylocybin. Vielleicht war ich doch am richtigen Ort. Das waren die Speerspitzen unserer inneren Befreiung während der 60er Jahre gewesen. Die Tagung war voller Berühmtheiten, die zu meiner Verwunderung oft kaum ernst zu nehmen waren, und ein paar redeten einfach so daher. Ein junger Mann mit Sonnenbrille unterhielt beispielsweise eine halbe Stunde lang mit seinen Erfahrungen während eines Toilettenbesuchs. Stanislaw Grof, bei unserer Begegnung offensichtlich auf Trip, fachsimpelte nur. Er war anscheinend bemüht, wissenschaftlich ernst genommen zu werden. Der Grund war ein Skandal mit einer bekannten Sterbeforscherin. Bei ihren Sitzungen für Witwen war ein nackter Herr mit Turban herumgesprungen und hatte die verstorbenen Ehemänner zu gut vertreten: Mehrere der Frauen hatten sich dadurch einen Tripper eingehandelt. Es hatte in allen Zeitungen Südkaliforniens gestanden, und nun ging es darum, den Ruf zu wahren. Am spannendsten war der LSD-Papst Timothy Leary. Dünn, weißhaarig und weiß gekleidet unterhielt er zwei Stunden lang den ganzen Saal, nur mit Witzen. Er wiederholte sich nicht ein Mal. Die Klarheit seines Geistes funkelte, aber von Mitgefühl war nichts zu spüren. Aus seiner Sicht war es einfach Pech, wenn man minderbegabt, schwarz, ungeschickt oder schlecht ausgebildet ist. Sein ständiger Bezugspunkt war das Gehirn, und er belächelte jeden Anflug von Romantik. Auf der Stoßstange seines Autos stand: “Intelligence is the best aphrodisiac!” (Intelligenz ist das beste erotische Reizmittel).
Im Saal waren an die 2.000 Zuhörer, viele von ihnen bekannte Psychologen, die täglich dicke Rechnungen an ihre Patienten ausstellten. So entschloss ich mich, ihnen für ihre teure Zeit wenigstens etwas Sinnvolles zu geben, und zielte direkt auf ihre Tabus. Ich hielt also einen “Einführungsvortrag” mit besonderem Gewicht auf das, was jeder meiner Vorredner ausgeklammert hatte: die Notwendigkeit, geistige Inhalte zu finden, die einen durch Krankheit, Alter und Tod tragen können. Alles erstarrte, als ich auf diese heiklen Punkte einging, und niemand hatte hinterher kluge Fragen. Auf einem Fest am selben Abend kamen aber Dutzende und dankten mir. Es sei der einzige Beitrag mit Tiefe gewesen, sagten sie. Ich antwortete, dass ihre
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