Über Alle Grenzen
wichtiges Ereignis statt. Der große Dilgo Khyentse Rinpoche gab sechs Monate lang eine Reihe von Einweihungen. Abgesehen von den wichtigen Übertragungen vermittelte der Aufenthalt einen erschütternden Einblick in die Leiden, denen die Chinesen so viele Tibeter bis heute aussetzen: In einem abgeschirmten Raum, ganz oben in dem großen Kloster, sahen wir Mindroling Rinpoche, das eigentliche Oberhaupt der alten Nyingmapa-Schule und der Vater von Khandro Rinpoche, die seit 1993 auch Europa besuchen. Er war in sehr schlechtem Zustand. Mit einem Heldengesicht, das jeden Bildhauer in Wonne versetzt hätte, und einem unglaublich starken Segen im Raum wechselte er auf seinem Bett zwischen bewussten und unterbewussten Zuständen hin und her. Mindroling Rinpoche war völlig zerstört worden und bezeichnete die Chinesen, die ihn durch die Straßen Lhasas geprügelt hatten, mehrmals als seine “Lehrer”.
Dudjom Rinpoche leitete jahrelang in Vertretung die Schule. Nach seinem Tod übernahm Dilgo Khyentse Rinpoche diese Aufgabe. Seit 1993 gibt es den Dudjom Rinpoche gleich zweimal: Ein Kind wurde von der Nyingmapa-Schule auserwählt, und die häufig glücklosen Behörden Dharamsalas hatten ein anderes öffentlich auserkoren.
Anschließend besuchten wir das Nonnenkloster von Gelongma Palmo in Tilokpur. Es liegt oberhalb der Haupthöhle des großen Verwirklicher Tilopa . Die Inder laufen oft den Besuchern voraus und besetzen die heiligen Stellen. Dann machen sie viel Lärm und bieten einem kurz darauf gegen Geld Ruhe zur Meditation an. Ich war wenig begeistert von dieser Art des Broterwerbs und schenkte ihnen stattdessen kostenlosen Flugunterricht zur Höhle hinaus.
Bei Vollmond ging die Fahrt von Delhi mit gemieteten Zügen weiter zum Taj Mahal - eine Idee von Niels -, dann nach Bodhgaya. Damals war die Stupa noch von keiner Mauer umgeben, und man musste als Westler schon schlimm aussehen, um keinen Bettlerschwarm anzuziehen. Danach hielten wir bei Kalu Rinpoche in Sonada, der uns in Liebevolle Augen einweihte, und fuhren weiter nach Rumtek. Dort zeigte Karmapa wieder seinen Einfluss. In einem Land, in dem die Fernsprecher kaum taugen und keiner sich traut, irgendetwas zu genehmigen, rief er einfach die Behörden in Delhi an. Obwohl der Aufenthalt in Sikkim seit dem Krieg im Jahr 1962 auf drei Tage begrenzt war - sofern man überhaupt ein Visum bekam -, verschaffte er uns mit wenigen Worten einen ganzen Monat in Rumtek. Es war das größte Geschenk überhaupt, und wir nutzten es vollständig.
Während der beiden letzten Tage vor Tibetisch Neujahr fanden auf Rumtek die beeindruckenden Lamatänze statt, ohne Masken. Nach einer durchwachten Nacht gaben Karmapa und die Linienhalter ihren Segen. Am nächsten Tag übernahmen wir die Unterhaltung. Kraftsprünge und Karatehiebe verstanden sie, aber das mimische Theater eines Starnberger Psychologen fanden die Tibeter merkwürdig. Sie bevorzugten derbe “Hans-Wurst-Spiele” und Cowboyfilme.
Lamatänze
Nach den Festlichkeiten folgte tiefgehender Unterricht. Karmapa selbst lehrte über die Natur des Geistes und gab fast täglich Kronzeremonien und seltene Einweihungen. Dabei legte er wichtige unterbewusste Samen, die einen zukünftig befähigen, seinen Lehrer und Schwarzer Mantel als untrennbar zu erleben. Das ist die Haupterfahrung, die ich beim Segnen weitergebe.
Shamarpa lehrte über Dewachen , den Bereich der großen Freude. Gyaltsab Rinpoche erklärte das “Verhalten der Bodhisattvas”. Dieser altindische Text kann leicht sehr eng und freudlos wirken und sollte von denjenigen die solche Neigungen haben, ferngehalten werden. Sangye Nyenpa Rinpoche und Pönlop Rinpoche, damals noch Kinder, erklärten, was sie gerade in der Schule gelernt hatten, und sogar die ganz Kleinen wie Garwang Rinpoche und Gyaltrul Rinpoche sollten ein Dharmaband zur Gruppe aufbauen. Sie lasen uns einfach ihre Schultexte laut vor. Wir waren übrigens dabei gewesen, als Karmapa die beiden 1969 in Nepal und Sikkim fand.
Es war großartig, Rumtek als äußeren Rahmen für so viel Zeit mit unseren engsten Freunden zu haben. Obwohl wir ständig verbunden sind und heute rund um die Welt wie Zahnräder ineinander greifen, sehen wir uns viel zu selten: Gemeinsame Zeit ist das Kostbarste überhaupt.
Eines Tages brachte uns der Sekretär von Rumtek einen Brief. Darin bestätigte Karmapa Hannah und mich öffentlich als seine westlichen Schüler. Wir waren die einzigen, denen er diesen Titel verlieh. Der
Weitere Kostenlose Bücher