Über Alle Grenzen
wird erwartet, dass man sich einen davon aussucht, und dieser erscheint dann kurz darauf auf dem Tisch. Es war nicht so schlimm wie mit den Hunden und Ratten später auf dem Festland Chinas, aber für uns war es zuviel. Glücklicherweise gab es immer Stellen in der Nähe, die Braten oder Tofu hatten, und unsere Gastgeber folgten uns, ohne zu klagen.
Bangkok, die letzte Station vor Indien, war überschwemmt. Wir sahen uns die wichtigsten Tempel an und hörten mit Verwunderung, wie in den Stimmen der Menschen plötzlich die tiefste Hingabe vernehmbar wurde, wenn sie erzählten, wie viel Gold in den Statuen enthalten ist. Das Land hatte bestimmt Vorteil von Buddhas Lehre, aber die tiefe Hingabe, die wir von unseren Tibetern kannten, sahen wir nicht. Das ganze wirkte eher wie das “Etwas-für-Etwas”-Prinzip, das sonst auf der Welt üblich ist. Einfach alles war käuflich.
Unser Flugzeug landete am ersten Januar 1985 in Kalkutta. Wir schliefen wie üblich im Flughafen auf dem Teppich vor dem Restaurant. Die nahen Hotels waren teuer und nervtötend. In Kalkutta begegneten wir Beru Khyentse Rinpoche. Hannah hatte im Herbst für ihn übersetzt, und die beiden sprachen lange miteinander. Dann kamen unsere hundert Freunde an, entrüsteten sich sofort über die indische Armut, und nach ein paar Stunden im Flughafenchaos flogen wir weiter in den Ost-Himalaya.
Darjeeling war kalt und klar. Da die Behörden in Delhi wieder einmal die Einreise nach Sikkim erschwerten, zahlten wir es ihnen diesmal heim - wir schmuggelten siebzehn Polen ohne Papiere über die Grenze. In Rumtek angekommen, erhielten wir mehrmals täglich Belehrungen. Ein wirkliches Erlebnis. Selbst die Schüler, die erst kurz dabei waren, merkten bald, dass die Tsültrim-Namgyal-Familie und Rumtek unser Zuhause waren.
Danach folgte die klassische Nachtfahrt im Bus nach Kathmandu, wo Beru Khyentse Rinpoche täglich das “Verhalten der Bodhisattvas” im Vajra-Hotel lehrte. Als er den Kurs mit einem besonders schweren Zitat über den schlechten Einfluss der Frauen auf die Meditation abschloss, machte er ein sehr ernstes Gesicht. Wir mussten uns beherrschen, um nicht laut zu lachen: Wir wussten, dass seine Hochzeit für den nächsten Tag geplant war. Es wurde übrigens eine ungewöhnliche Liebe für den sonst so geregelten Heiratsmarkt Asiens: Als die Schöne den runden Rinpoche sah, ritt sie mit dem flotten Prinzen von Mustang davon. Kurz danach fand sich eine andere Edle gesetzten Gemüts, die ihm die erwünschten Nachkommen sicherte.
Beru Khyentse Rinpoche erklärt das “Verhalten der Bodhisattvas”
Bei dieser Reise lag der Schwerpunkt auf Belehrungen, während wir bei der letzten heilige Stellen besucht hatten. Da die Kultur im Abbau begriffen ist, sollten unsere Freunde ihre noch übrig gebliebenen Seiten kennen lernen. Aufgrund der immer engeren Verbindungen vom Rhein an ostwärts würde sich ihr Wissen schnell in den Zentren verbreiten.
Im Frühling 1985 gab es eine erste Entwicklung in Norditalien. Obwohl viele die größten Erfüllungen am Mittagstisch erlebten und die begabten Leute mehrerer Städte unter Bergen von “Lachkraut” und “Weißem Pulver” erstarrt waren, entstanden einige gute Freundschaften, vor allem in Brescia. Die Ausdauer einiger weniger ist rührend, und wir halten bis heute ein dünnes Netz von Verbindungen über das leider recht katholisch geschädigte Land.
In der Schweiz entwickelte sich die Lehre, dem Land entsprechend, stetig und mit Wurzeln. Dank Annemarie haben wir ein wunderschönes Haus im Herzen von Zürich und kauften einige Jahre später auch das Nachbarhaus hinzu, wodurch wir im gemeinsamen Hinterhof zusammen mit Lopon Chechou Rinpoche eine Granit-Stupa bauen konnten. Markus, unser langjähriger Hausgrafiker, entwickelte von hier das einheitliche Erscheinungsbild des Diamantweg-Buddhismus in der ganzen Welt. Im Jahre 2003 erhielten wir Amden hinzu, eine Zurückziehungsstelle vierzig Minuten von Zürich entfernt. Es ist ein Juwel jenseits der Vorstellung von Schönheit.
Das Zürcher Zentrum
Alle Zentren arbeiten eng und fruchtbar mit den süddeutschen Nachbarzentren zusammen. Da das Land auf dem Wunschzettel fast aller tibetischen Lamas an erster Stelle steht, gab es häufig Besuch. Wichtig war manchmal darauf zu achten, dass die Lamas sich nicht nur eine schöne Zeit machten, sondern auch lehrten.
Weil kein tibetischer Lehrer zu finden war, gab ich vom 1. bis 15. Juni 1985 meinen ersten Sommerkurs in
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