Über Alle Grenzen
ihrer eigenen Kultur dort wieder fanden, die mächtigen Gebäude niedergebrannt. Die Koreaner hatten sie bei jeder Befreiung sofort wieder aufgebaut, doch trotz allem waren kaum Meditierende in den schönen Sälen zu sehen.
Das Land zeigte deutlich, wie das Gesetz von Angebot und Nachfrage auch auf geistiger Ebene arbeitet. Nachdem die dicksten Leiden beseitigt sind und wir die wichtigsten Freiheiten erlangt haben, suchen wir Westler Wege zur Selbständigkeit und Entfaltung unserer Kraft. In unfreien Ländern dagegen, in denen es den Leuten schlecht geht, folgen die Menschen lieber äußeren und gefühlsgeladenen Vorbildern. Sie wünschen Erlöser, die für sie leiden, und Götter und Propheten, die ihr Leben steuern.
Vor allem die wachsten Koreaner waren häufig Christen. Scheinbar war es dem dortigen Buddhismus gelungen, so lebensfern, gekünstelt, auserlesen, unzeitgemäß und verknöchert zu werden, dass ihn viele Menschen mit Überschuss einfach aufgaben. Sie suchten jetzt die Lehren der siegreichen Weißen. Überall sah man selbst gebastelte Kleinkirchen. Hier wie auch in Japan war der Buddhismus einfach zu fordernd, hart und männlich geworden, während das Christentum die unterdrückte, weibliche Seite vertrat. Weil die neu angekommene Lehre ihnen erlaubte, schwach zu sein - was die meisten sowieso sind - und Vergebung gewährt, ermöglichte sie das Gefühl einfacher Neuanfänge ohne störende Altlast. Dass wir schon Buddhas sind, die nur ihr innewohnendes Licht finden müssen, ist nicht einleuchtend, wenn man zwanzig Stunden am Tag arbeitet, unterdrückt wird, fünfzehn Kinder ernähren muss und keine Ausbildung hat. Dann braucht man vor allem etwas Handfestes.
Auf den Straßenmärkten kauften wir die billigen, aber gut verarbeiteten Angebote des Landes, meistens Schultertaschen, für die Freunde zu Hause. Man konnte bestimmen, welche falschen Firmenmarken aufgedruckt werden sollten, und wir wählten “Hang ten”. Schwere Wildlederjacken kosteten nur wenige Dollar. Die Hotels hatten ein alt hergebrachtes Heizsystem: Die Luft wurde in Schläuchen durch den Boden geleitet, so dass nachts die Seite des Körpers warm wurde, die unten lag. Das Essen war oft grob und scharf, aber das Frühstück in Form von Sojasuppen, die es am Straßenrand gab, war ein Erlebnis. Dort begegneten wir auch den nun völlig harmlosen Hauptdarstellern der Dramen in unseren Hotels, die - weshalb auch immer - nachts andauernd auf die Türe einschlugen und schrieen.
Jamgön Kongtrul Rinpoche war bereits in Taiwan, und es tat gut, unmittelbar vom Flugzeug aus in eine seiner Einweihungen zu treten. Auch er hatte Spannendes zu berichten, und während der Mahlzeit, bei der wir unsere weltweite Entwicklung besprachen, dankte er uns im Namen Rumteks sehr, dass wir die Sache mit Ayang Tulku so schnell für Europa begradigt hatten.
Mehrere Chinesen, Nonnen und Laien, gingen mir diesmal aus dem Weg. Vor allem diejenigen, die mir am eindringlichsten versprochen hatten, zusammenzuarbeiten und den Suchenden ein echtes Angebot zu geben, hatten der Versuchung nicht widerstehen können. Sie spielten inzwischen selbst Guru, was Gruppen zersplittert. Schlecht ausgebildet und viel zu persönlich wegen fehlender Lebenserfahrung und eigener Unsicherheit, brachten sie ihren Anhängern eher Schaden als Nutzen. Das schlechte Gewissen ließ sie davon springen, wenn sie mich sahen; nur Kunga Ani und Guru Han hatten den Stil gehalten. Letzterer lag mit einem Oberschenkelbruch im Spital und ließ sich mit der zeitlosen Ruhe einer chinesischen Mumie rasieren. Auch er hatte etwas zu verdauen: Die Hälfte seiner Schüler hatte ihn sofort verlassen, als er seinen Unfall hatte. Sie wollten jetzt einem Lehrer mit mehr “Chi” folgen.
Guru Han
Alles in allem war Taiwan eine peinliche Angelegenheit, und ich entschloss mich, in Zukunft dort weniger zu tun. Mitgefühl und Hingabe sind im Diamantweg unabdingbar, und gebrochene Bände zerstören jede Entwicklung. Da ich so wenig Zeit habe, sollte ich diese besser mit denjenigen verbringen, die etwas lernen wollen, um anderen zu nützen - mit meinen Schülern und Freunden aus der westlichen Welt.
Auch in Hongkong bestand unsere Arbeit darin, die Leute zusammenzuhalten. Einzelgespräche waren wichtiger als Belehrungen, was kein gutes Zeichen ist. Wenn wir zum Essen eingeladen wurden, mussten wir ein paar Mal das Restaurant wechseln. Die riesigen Glasbehälter voll farbiger Fische standen hier nicht zur Zierde. Es
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