Über Bord
Auch an jenem denkwürdigen Wochenende im Juli lag Amalia wie so oft im Garten und bräunte sich, wobei sie allerdings immer wieder einmal aufsprang, um den Liegestuhl aus dem Schatten zu zerren oder mit ihrer emsigen Oma zu plaudern.
»Wie findest du Uwe eigentlich?«, fragte sie.
Die Großmutter richtete sich auf und lehnte die Harke an einen Kirschbaum. »Wieso? Willst du ihn etwa heiraten?«
Dieses Etwa gefiel Amalia nicht.
»Darum geht es nicht«, sagte sie. »Ich habe bloß gefragt, wie er dir gefällt.«
»Ich kenne ihn ja kaum, diesen Herrn der Schöpfung!«
Amalia legte sich wieder in die Sonne. Meine Oma mag ihn nicht, dachte sie, sonst hätte sie anders reagiert. Vielleicht hatte sie generell etwas gegen große Menschen, weil sie selbst vertikal etwas benachteiligt war. Dabei hatte Uwe neulich ihre Quarkkeulchen über den grünen Klee gelobt, doch dabei vielleicht übertrieben.
Nach einigen Minuten fiel plötzlich ein Schatten auf Amalias Gesicht, die Großmutter hatte ebenfalls nachgedacht und beugte sich über sie. »Halten zu Gnaden«, sagte sie scherzhaft. »Ich habe leider den Verdacht, dass er ein armer Schlucker ist, mach’ bitte nicht den gleichen Fehler wie deine Mutter!«
Alles dreht sich hier ums Geld, dachte Amalia ärgerlich, anscheinend erwartet man von mir, dass ich einen Millionär abschleppe. Ja, ja, ich weiß, die Heizung tut es nicht mehr lange, das Schieferdach muss neu gedeckt werden und so weiter. Am besten würde man diesen maroden Schuppen verkaufen oder abfackeln, dann wäre endlich Ruhe.
Ans Heiraten hatte Amalia noch kaum gedacht, eher an ein Kind. Täglich wurde sie von Berufs wegen mit Problemen der weiblichen Fruchtbarkeit konfrontiert. Außer den ständigen Blutabnahmen, Ultraschalluntersuchungen und Hormonberatungen gab es viel Freud und Leid, Umarmungen oder Tränen in einer gynäkologischen Praxis: werdende Mütter, die nichts als Glück ausstrahlten, und jene, denen es versagt blieb. Oder auch Frauen, für die der positive Schwangerschaftstest der reinste Schock gewesen war und die nur eines im Sinn hatten, nämlich den Embryo schleunigst wieder loszuwerden. Zur falschen Zeit vom falschen Mann, das war eine Katastrophe.
War Uwe überhaupt der Richtige? Konnte sich Amalia nicht ganz entspannt noch zehn Jahre gedulden? Wenn da nur nicht diese unglücklichen Frauen wären, die zu lange gewartet hatten. Mit ihrem Freund hatte sie bisher nie über Familienplanung gesprochen, außerdem hatte ihre Großmutter in einem Punkt durchaus recht: Uwe war ein armer Schlucker. Er war erst 22, zwei Jahre jünger als sie, und wohnte aus Kostengründen immer noch bei seinem despotischen Vater. Eine gemeinsame Wohnung konnte sich das junge Paar nicht leisten und manchmal zitierte Uwe scherzhaft im breiten Dialekt seines Vaters: »Dahaam is dahaam!«
Letzten Sonntag war Amalia zum Grillen eingeladen worden; es war warm genug, um im Garten zu essen. Uwes Vater hatte riesige Koteletts aufgetischt (die Amalia nicht anrührte) und bemühte sich, einer hübschen jungen Frau gegenüber als Kavalier aufzutreten. Als allerdings sein Sohn aufstand, um zum Abschluss noch ein Eis aus dem Kühlfach zu holen, wurde er vom Papa angebrüllt. »Net leer laufe!«
Amalia machte sich sofort einen Reim darauf: Ein braves Mädchen geht nie mit leeren Händen in die Küche! hatte ihre Großmutter immer gesagt. Gemeinsam mit Uwe trug sie die fettigen Teller hinaus.
Gegen das Nachmittagslicht blinzelte sie zu ihrer Großmutter hinüber, die Moos zwischen den Fugen der Steinplatten herauskratzte und sich unentwegt bückte, um irgendein unschuldiges Grashälmchen auszureißen. Wahrscheinlich war die alte Frau ebenso männerfeindlich wie ihre Mutter. Ihre Oma war schon lange Witwe, hatte fünf Kinder großgezogen und sich nie über zu viele Pflichten beklagt. War ihre Ehe glücklich gewesen? Immerhin war Amalias Großvater kein armer Mann gewesen und hatte seiner Frau unter anderem dieses Haus vererbt. Den Löwenanteil des hinterlassenen Vermögens hatte Hildegard Tunkel schon vor Jahren an vier ihrer Kinder ausgezahlt, was sicherlich ein Fehler war. Man hatte ihr erklärt, dass bei einer rechtzeitigen Schenkung später keine Erbschaftssteuer mehr fällig werde. Doch nun besaß sie außer der Villa keine Rücklagen und musste mit ihrer bescheidenen Rente auskommen. Da Ellen bis dahin leer ausgegangen war, sollte das sanierungsbedürftige Haus demnächst in ihren Besitz übergehen, es musste nur noch ein
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