Über Bord
Fremde ein unehelicher Sohn ihres Vaters sei, könne er keine Ansprüche geltend machen.
»Unsere Eltern hatten doch ein sogenanntes Berliner Testament aufgesetzt«, meinte er. »Da Papa zuerst gestorben ist, hat Mutter Haus und Vermögen geerbt. Und sie ist wiederum – sollte deine amüsante Geschichte stimmen – nicht mit diesem Gerd Dornfeld verwandt. Hattest du den Eindruck, der will uns irgendwie erpressen und fordert Geld?«
»Davon war zum Glück nicht die Rede«, sagte Ellen. »Amalia meint, dass er bloß nach seinen Wurzeln sucht, aber ich habe überhaupt keinen Bedarf an noch einem Bruder!«
»Danke für die Blumen. – Aber wahrscheinlich will sich da bloß jemand interessant machen! Gib mir doch seine Adresse, ich werde mir den Burschen mal vorknöpfen«, versprach er. »Ich lasse mich nicht so schnell ins Bockshorn jagen.«
Matthias staunte sehr, dass Gerd Dornfeld genau wie er selbst im Frankfurter Westend wohnte; bisher hatte er immer geglaubt, dort würden nur anständige Menschen leben.
Der Dritte in der Geschwisterfolge, Ellens Bruder Holger, lag frisch operiert in einem Glasgower Krankenhaus. Man wollte ihm keine Aufregung zumuten. Die Zweitälteste, Ellens Schwester Christa, meinte sich zu erinnern, dass es irgendwann eine verheimlichte Ehekrise der Eltern gegeben habe, aber das sei unendlich lange her und sie kenne nicht den Grund. Jedenfalls habe sie als kleines Mädchen mehrmals lautes Streiten und das Wort Trennung gehört.
»Wann war das?«, fragte Ellen und erfuhr, dass es wohl noch vor ihrer Geburt gewesen sein musste.
»Das würde zumindest zeitlich passen«, sagte Ellen. »Dieser Gerd ist so etwa in meinem Alter. Vielleicht bin ich ja ein Versöhnungskind. Aber eigentlich kommt mir das alles reichlich fragwürdig vor; ob ich mal ganz vorsichtig bei Mutter anklopfe?«
»Falls es da schlecht verheilte Wunden gibt, sollte man sie nicht wieder aufkratzen«, sagte Christa und schluckte gut hörbar ihren Kaffee hinunter. »Unser Mütterchen hatte kein leichtes Leben. Wo sie doch jetzt in ihrem Garten einigermaßen glücklich ist.«
Nein, Ellen wollte ihre Mutter auf keinen Fall quälen. Hildegard Tunkel hatte nie ein kritisches Wort über ihren Mann verloren, sondern ihn als feinen Menschen und liebevollen Vater hingestellt. Als er plötzlich starb, war Ellen erst vier.
Jetzt fehlte ihr nur noch jene Schwester, die kaum ein Jahr älter war als sie selbst. In der Kindheit bestand eine gewisse Rivalität und Eifersucht zwischen ihnen, denn Ellen glaubte, dass der Vater die hübschere Lydia bevorzugte, während sie wiederum als Mamas Herzblatt galt.
Lydia lachte schallend, als sie von einem unehelichen Sohn ihres Vaters hörte.
»Papas Lenden waren fruchtbar, das beweisen schon seine fünf Kinder. Wer weiß, wie viele Brüderchen und Schwesterchen sich in Südhessen tummeln, ich traue dem alten Schwerenöter alles zu!«
»Hast du konkrete Anhaltspunkte dafür?«
»Nur so ein Gefühl, schließlich sah er gut aus und hatte sicher Chancen bei den Frauen. Und Mama ist ja eher ein bisschen spröde.«
»Spröde – und doch bekam sie ein Kind nach dem anderen! Als Mutter einmal leicht beschwipst war, hat sie behauptet, sie sei schon schwanger geworden, wenn Papa sie bloß schräg von der Seite anschaute. Damals gab es schließlich noch keine Pille, vielleicht wollte sie kein sechstes Kind und hat sich nach meiner Geburt im Bett verweigert?«
Ihre Schwester sagte bloß: »Hm, hm! Was weiß man schon von den Verhütungsmethoden der eigenen Eltern«, verabschiedete sich eilig und lief an die Haustür, um einen Besucher einzulassen.
Amalia rief ihrerseits ihre Schwester Clärchen an, die von der möglichen Existenz eines neuen Onkels geradezu begeistert war.
»Was hat er für ein Auto?«, fragte sie als Erstes.
» BMW mit Frankfurter Nummer, glaube ich, eher luxuriös, jedenfalls seriös, viertürig und dunkelblau. Als ich zur Klärung einen Gentest vorgeschlagen habe, war Gerd Dornfeld sofort einverstanden – aber Mama sperrte sich.«
»Wo ist das Problem? Dann gibst du eben selbst eine Speichelprobe ab, als Nichte und Onkel müsst ihr auf jeden Fall ein paar gemeinsame Gene haben.«
Danach sprachen die Schwestern noch ausführlich über ihre Freunde und die Männer im Allgemeinen.
»Wenn wir schon dabei sind, wie sieht unser neuer Onkel überhaupt aus?«, fragte Clärchen neugierig.
»Eigentlich recht gut, er gleicht aber weder Mama noch mir oder dir, hat ein englisches
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