Über Bord
einem Jahr Witwer. Aber er hat mir keine Stelle als Pflegerin oder Privatsekretärin angeboten. Stattdessen hat mir die Außerirdische ein Präsent zur Erinnerung überlassen – sieh mal! Komisch, schon Madame Dornkaat wollte mir ihre Preziosen aufdrücken!«
Amalia zog eine Kette mit Anhänger aus der Hosentasche und erklärte, dass es sich um sogenannten Jagdschmuck handele: ein Collier aus Gold und Murmeltiernagezähnen.
»Schön scheußlich«, sagte Ellen und schüttelte sich. »Verständlich, dass sie ihr kitschiges Kleinod loswerden wollte, kannst es ja deinem Uwe weiterreichen. Komm, wir entfernen uns mal ein bisschen vom Touristentrampelpfad.«
In einem Viertel mit neueren Häusern entdeckten sie einen kleinen Spielplatz, wo bestimmt nur Einheimische und keine Kreuzfahrer anzutreffen waren. Zwei Mädchen schwänzten hier gemeinsam mit zwei gleichaltrigen Jungen die Schule. Die etwa 14-jährigen Gören zeigten großzügig ihre hervorblitzenden Tanga-Strings, ihre Kavaliere hatten sich mit verspiegelten Pilotenbrillen und Treckingsandalen ausgerüstet. Während sich die Mädchen wollüstig auf einer Rutschbahn für Kleinkinder aalten, wippten die Knaben wie wild auf Schaukeltieren. Eine schnell zu durchschauende, wenn auch unbewusste sexuelle Anmache.
Eine Weile sahen Ellen und Amalia ihnen zu, dann wanderten sie zurück und ließen sich aufs Schiff bringen, um dort missmutig ihre Koffer zu packen. Am letzten Abend ging es leger zu, man verabschiedete sich bereits jetzt von den meisten Tischgenossen, weil die Busse nach Rom am nächsten Morgen schon früh starten würden.
»Ich werde diesen wunderbaren Geruch nach Salzwasser am meisten vermissen«, sagte Amalia, »aber natürlich auch das gute Essen.«
Amalias Handgepäck wurde am Flughafen Fiumicino durchsucht, weil sie das korsische Wildschwein etwas verwegen aus ihrer Reisetasche hervorlugen ließ – damit es Luft kriegte, wie sie meinte. Nachdem man das verdächtige Tier unter die Lupe genommen und gründlich befühlt hatte, stellte die Security fest, dass es nur Watte und kein Kokain gefressen hatte, und sie konnten sich in eine endlose Warteschlange einreihen. Einige Stunden später betraten sie wieder deutschen Boden in Frankfurt, wo sie von Uwe abgeholt wurden.
Diskret sah Ellen in eine andere Richtung, als sich das junge Paar leidenschaftlich begrüßte. Sie hätte nichts dagegen gehabt, wenn Amalia auf dieser Seereise einen gutverdienenden, heiratswilligen, im Alter einigermaßen passenden Akademiker mit Kinderwunsch an Land gezogen hätte, aber dergleichen befand sich nicht im Angebot. Sie musterte Uwe ziemlich kritisch. Der Köter im Haus war sicherlich seine perfide Idee gewesen.
Als sie im Auto saßen, fing Uwe auch gleich damit an: »Frau Tunkel, Ihre Mutter ist so happy mit dem Hündchen. Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht krumm, dass ich Penny«
»Doch«, unterbrach ihn Ellen. »Aber noch mehr ärgere ich mich über meine Mutter, denn die weiß besser als Sie, dass ich prinzipiell keine Haustiere ertrage.«
»Allergie?«, fragte Uwe.
»Nein«, sagte Amalia. »Meine Mutter hat eine Mäusephobie und bildet sich ein, auch ein Hund würde tote Nager ins Haus schleppen. Aber ich freue mich schon sehr darauf, mit dir Gassi zu gehen.«
Das klang wie Musik in Uwes Ohren. Als er vor dem Nonnenhaus anhielt, trug er noch rasch die Koffer ins Haus und sah zu, wie Amalia den fiependen Welpen auf den Arm nahm, während Ellen ihre Mutter begrüßte. Gern hätte er seine Freundin sofort zu sich nach Hause mitgenommen, wollte aber nicht zu fordernd auftreten. Als Uwe weg war, stellte Hildegard eine Platte mit Quarkkeulchen auf den Tisch, die den Kreuzfahrern nach der wochenlangen Luxusküche ausgezeichnet schmeckten.
Ellen war etwas erschöpft von der Reise und wollte früh zu Bett gehen. Morgen hatte sie noch frei und konnte den ganzen Tag zum Auspacken, Waschen, Putzen und Einkaufen verwenden. Der arglose Hund hatte sogar seine Feindin überschwenglich willkommen geheißen und sich über jeden neuen Mitbewohner kindisch gefreut, Amalia überlegte, ob sie das Wildschwein lieber der kleinen Penny schenken sollte.
Ellen traute sich nicht, bei Gerd anzurufen. Doch zum Glück meldete er sich selbst noch am späten Abend.
»Seid ihr gut angekommen? Ich werde vielleicht schon bald wieder nach Südfrankreich fliegen müssen, denn man hat in der Nähe von Antibes einen im Wasser treibenden weiblichen Leichnam geborgen, den ich voraussichtlich
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