Über Bord
Geld?«
»Natürlich«, sagte Amalia, »aber in meinem Beruf wird man nicht reich.«
Die Außerirdische befragte sie weiter. »Arzthelferin in einer gynäkologischen Praxis! Aber Kindchen, da lernt man doch keine Männer kennen! Du solltest sofort zu einem Urologen wechseln oder am besten einen anderen Beruf ergreifen. Pflegerin bei einem geschiedenen, morbiden Krösus, davon verspreche ich mir sehr viel mehr.«
Als am Ende die Bordkapelle aufspielte, tanzte Ellen zu ihrer eigenen Verwunderung bis in die Puppen mit dem Glitzermann, Amalia mit einem gutaussehenden, braungebrannten Herrn, der allerdings vierzig Jahre älter war.
25
Pflichtgemäß meldete sich Matthias Tunkel täglich bei seiner Mutter. Diesmal kam er überhaupt nicht zu Wort, so begeistert und ausführlich erzählte sie von einer Penny. Erst allmählich begriff Matthias, dass es sich um einen jungen Hund handelte.
»Mutter, du bist ja schlimmer als eine Erstgebärende, die nur noch über ihr Baby spricht! Und was hört man eigentlich von unseren Kreuzfahrern?«
»Alles bestens, das heißt, die Frau von diesem Gerd ist über Bord gegangen. Ist nicht weiter schade, denn Ellen und Amalia mochten sie sowieso nicht.«
»Um Gottes willen, Mutter, was sagst du da! Wahrscheinlich hast du irgendetwas missverstanden. Von wem kam denn diese schreckliche Nachricht?«
»Von Amalia. Aber wenn du glaubst, dass ich plemplem bin, dann frag sie doch selbst!«, sagte Hildegard gekränkt.
Bloß ein Hörfehler? Plemplem? Eine vorübergehende Verwirrung? Altersdemenz oder Alzheimer? Musste er seine Mutter zu sich nach Frankfurt holen, weil man sie nicht mehr allein lassen konnte? Hatte sie einen Hund erfunden, um sich über ihre Einsamkeit hinwegzutrösten? Oder zu viele Piratenfilme gesehen, in denen ständig Seeräuber und Matrosen ins Meer gekippt wurden?
Matthias rief auf der Stelle seine Schwester Ellen an und erfuhr, dass ihre Mutter nicht gaga war. Als Einziger der Familie war Matthias tief erschüttert und beriet sich mit seiner Frau Brigitte, die diese Reise ja durch eine großzügige Leihgabe gefördert hatte. Sie überlegten gemeinsam, wie sie den neuen Halbbruder trösten und unterstützen könnten. Matthias verständigte auch die anderen Geschwister, aber keiner wusste so recht, ob man schon jetzt kondolieren sollte, wo Gerd vielleicht noch auf ein Wunder hoffte. Ein illegales Flüchtlingsboot aus Afrika könnte Ortrud doch aufgefischt haben, phantasierte Holger, sah aber bald ein, dass bei Nacht und Sturm wohl keine Chancen auf Rettung bestanden. Überdies gab Matthias zu bedenken, dass es wahrscheinlich kein Unfall, sondern ein freiwilliger Tod war.
Inzwischen hatte der letzte Tag auf der MS RENA begonnen, gegen Mittag sollte Portovenere erreicht werden und am Morgen danach Civitavecchia für die Ausschiffung. Ellen und Amalia hatten einen Kater, schliefen sich zum letzten Mal aus und freuten sich nach dem Frühstück auf ein Stückchen Ligurien. Ein malerischer kleiner Hafen erwartete sie, die eng aneinanderklebenden, hohen bunten Häuser bildeten früher einen Verteidigungswall gegen Feinde, die vom Meer aus anrückten. Wäsche hing von den Balkonen, Fischer verkauften ihren Fang. Ebenso wie Amalia hatte Ellen ihr Konto überzogen, ihr Bargeld war fast völlig ausgegeben, und sie zählte jeden Cent. Hundert Euro wollte sie für Trinkgelder übrig behalten, was sonst wahrscheinlich Gerd übernommen hätte. Wie herrlich wäre dieser letzte Ausflug mit ihm gemeinsam gewesen! Als sie ihre Tochter fragte, ob sie nicht lieber mit ihren Sängerfreunden losziehen wolle, schüttelte Amalia den Kopf.
»Ich muss mich jetzt mental wieder auf Uwe einstellen und ein bisschen zentrieren«, sagte sie. »Viel Zeit haben wir sowieso nicht, ich hoffe, dir ist klar, dass wir heute Nachmittag packen und die Koffer vor der Kabinentür deponieren müssen.«
»Ja, ja«, sagte Ellen. »Die schönen Tage von Aranjuez sind nun zu Ende.« Als Amalia sie verständnislos anblickte, erklärte sie: »Das ist aus Don Carlos, ein Drama von Schiller.«
Ellen dachte an ihren leiblichen Vater. Insgeheim war sie sicher, dass sie auch ohne Ausbildung eine Hauptrolle bei Traumschiff oder Tatort spielen könnte.
»Und wie war gestern dein Showtanz mit Mister Glitzi?«, fragte Amalia weiter.
»Walzer kann er gut, Tango weniger. Außerdem glitzern sogar seine Augen wie heller Bernstein. Und was hast du mit deinem Sugar Daddy erlebt?«
»Der hatte mal eine Schuhfabrik und ist seit
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