Über Bord
machte, Kabel zernagte und Stehlampen umwarf. Amalia würde ihre Wochenenden wie immer mit Uwe verbringen, Clärchen nur noch an Weihnachten zu Besuch kommen, ihre Mutter würde älter und irgendwann ein Pflegefall, und die Seereise blieb ein schöner, ferner Traum – beziehungsweise ein Alptraum, was Ortrud betraf. Wie lange würde sich der Prinz Zeit lassen, bis er Aschenputtel erlöste?
Scheißkreuzfahrt, sagte Ellen plötzlich laut, ich hätte mit ihm gemeinsam nach München fliegen sollen. Ohne Gerd ist jeder weitere Tag einer zu viel, aber genau genommen habe ich selbst für seine Abreise gesorgt. Sie stand auf und lief langsam zur Anlegestelle des Tenderbootes. Das Schiff würde bereits am Nachmittag weiterfahren, hier am Ort ihrer Schande wollte sie sich nie mehr blicken lassen.
Auf der kurzen Passage bis zum Schiff entdeckte sie erneut den Glitzermann, dem Amalia diesen Spitznamen zu Recht gegeben hatte, denn er trug selbst zu einem Jeanshemd eine funkelnde Brosche, mehrere Ringe und eine auffällige Armbanduhr. Beim abendlichen Dinner glänzte er von der Brille bis zu den altmodischen silbernen Schnallen an den Schuhen. Obwohl Ellen ostentativ in die Ferne blickte, kam er auf sie zu.
»Geht es Ihnen besser? Auf Kreuzfahrten kommt so ein Koller schon mal vor, ich bin vor zwei Jahren selbst völlig ausgeflippt und weiß bis heute keinen plausiblen Grund dafür. Vielleicht, weil man so viel Schönheit nicht tagelang ertragen kann.«
Ellen wollte eigentlich nicht mit ihm reden, gab aber notgedrungen Auskunft: »Wenn ich demnächst wieder in Deutschland bin, hat sich dort ein unerwünschter Mitbewohner eingenistet: ein junger Hund! Das war mit meiner Mutter nicht abgesprochen und ist eine Respektlosigkeit. Ich dulde prinzipiell keine Tiere im Haus, aber jetzt haben sich meine Mutter und meine Tochter gegen mich verbündet, ist das nicht schrecklich?«
»Sie werden sehen«, tröstete sie der Glitzermann, »dass ein Haustier eine Bereicherung für die ganze Familie ist. Wenden Sie sich doch mal an unsere beiden Tierpsychologen, die können Ihnen sicherlich gute Tipps für die Welpenaufzucht geben!«
An Bord war es still, fast alle Passagiere befanden sich noch an Land. Ellen machte einen kleinen Rundgang, ließ sich am Pool ein Eis mit frischen Früchten servieren und setzte sich schließlich in die Bibliothek, in der ja Gerd viel Zeit verbracht hatte. Hier standen auch zwei PC -Arbeitsplätze zur Verfügung, und Ellen geriet in Versuchung, den USB -Stick aus ihrer Handtasche zu ziehen und Ortruds Dateien zu öffnen. Lieber nicht, sagte ihr eine innere Stimme, vielleicht mache ich an den fremden Rechnern etwas kaputt oder muss andere um Rat fragen – wer weiß, ob ich dabei nicht in Teufels Küche komme.
Die Fahrt am Nachmittag war sensationell schön, denn die MS RENA umrundete gemächlich Korsikas Küsten. Durch die Ansage des Kapitäns erfuhr Ellen, dass die Westseite als Naturschutzgebiet ausgewiesen und von der UNESCO in die Liste des Weltnaturerbes aufgenommen worden war. Aus dem Meer ragten steile, rotgefärbte Felsen, die vor vielen Millionen Jahren entstanden waren. Eigentlich kennen wir uns noch nicht besonders gut, dachte Ellen, ich weiß überhaupt nicht, ob Gerd ein Naturfreund ist. Sie versuchte, sich zu erinnern, ob er nicht bloß architektonisch interessante Bauten, sondern auch Wolken, Sonnenuntergänge, Meeresvögel oder die üppige Vegetation fotografiert hatte.
Als Amalia wieder an Bord war, hatte sie ihre Mutter als Zeichen der Versöhnung vorsichtig umarmt, beide sprachen aber das Thema Hund vorläufig lieber nicht an. Bereits an diesem Abend fand ein Abschiedsfest statt, weil die Passagiere am letzten Tag mit Packen beschäftigt sein würden. Ellen hatte noch einmal die Gelegenheit, sich in Brigittes Abendkleid zu werfen, aber sie hatte kein Interesse mehr, als schöne, gutangezogene Frau zu glänzen, und ganz bestimmt nicht wollte sie Ansgar oder gar dem Glitzermann gefallen. Amalia hatte zum Glück die Kabine verlassen, als Ellens Handy klingelte. Gerd redete ein wenig nervös und atemlos auf sie ein.
»Ich hoffe, es geht dir gut. Später erzähle ich dir, wie alles gelaufen ist. Hast du Ortruds Sachen schon fertig gepackt?«
»Das habe ich heute Morgen bereits erledigt, die Koffer wurden auch gleich abtransportiert.«
»Hast du noch irgendetwas Besonderes bei ihren Sachen gefunden?«
Ellen dachte an den Pullover und den USB -Stick und bekam ein schlechtes Gewissen.
»Nein,
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