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Über Boxen

Über Boxen

Titel: Über Boxen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates
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Johnny Owen von dem mexikanischen Bantamgewichtschampion Lupe Pintor bewusstlos geschlagen wurde –, und es erklärt die Erregung, die aufkommt, wenn einer der Boxer anfängt, stark zu bluten.
    Wenn Marvelous Marvin Hagler von Blut spricht, meint er natürlich sein eigenes.
    Betrachtet man die Sache abstrakt, so ist der Ring eine Art Altar, einer dieser legendären Orte, an dem die Gesetze des Staates aufgehoben sind: Innerhalb des Rings, im Laufe einer offiziellen Drei-Minuten-Runde, ist es möglich, dass ein Mann von seinem Gegner getötet wird, aber ermordet wird er nicht. Was sich im Ring abspielt, geschieht wie in einem jener alten Heiligtümer, die vor jeder Zivilisation existierten oder, um D . H. Lawrence zu zitieren, die es gab, ehe Gott als Liebe begriffen wurde. 8 Sosehr sich der Vergleich mit einer heidnischen Zeremonie oder einem Sühneritus aufdrängt, so vergeblich sind solche Vergleiche. Denn welche Sühne hat man in einem Kampf geleistet, wenn man kurz danach wieder kämpfen muss und wieder … und wieder? Der Boxkampf spiegelt die kollektive menschliche Aggressivität, diesen sich durch die Geschichte ziehenden Wahnsinn, der ohne Ende ist, und dieses Bild erschreckt, eben weil es so stilisiert ist.
    Ich sage es nicht gern, aber es ist wahr – wenn der Schmerz
    kommt, mag ich es noch lieber.
    Frank «The Animal» Fletcher, ehemaliger Mittelgewichtsboxer
    In den frühen Fünfzigerjahren, als mein Vater mich das erste Mal zu einem Golden Gloves Tournament 9 nach Buffalo, New York, mitnahm, fragte ich ihn, warum die beiden jungen Männer miteinander kämpfen wollten, warum sie sich Verletzungen aussetzten. Als ob er damit etwas erklärte, sagte mein Vater: «Boxer spüren Schmerzen nicht wie wir.»
    Schmerz kann, in gewissen Situationen, zu etwas anderem werden.
    Ein Beispiel: Gene Tunneys einzige Niederlage im Laufe einer dreizehnjährigen hervorragenden Karriere war die gegen Harry Greb, der in Boxerkreisen den Ruf hatte, einer der gemeinsten Kämpfer zu sein, die es je gegeben hatte. Greb war berüchtigt für seine Fouls – Tiefschläge, Kopfstöße, «halten und schlagen», Innenhandschläge, Daumen ins Auge drücken – und für seinen wilden Boxstil; seine Schläge schienen von überall her zu kommen. (Daher sein Beiname «Die menschliche Windmühle».) Greb starb jung, aber er war drei Jahre lang Weltmeister im Mittelgewicht und geraume Zeit eine aufsehenerregende Gestalt in Boxerkreisen. Nach dem ersten von mehreren Kämpfen mit Greb war der zweiundzwanzigjährige Tunney so schwer verletzt, dass er eine Woche im Bett liegen musste. Er hatte während des Kampfs, der über fünfzehn Runden ging, erstaunlich viel Blut verloren, einen halben Liter. Aber, wie Tunney einige Jahre später sagte:
    Greb hat mich furchtbar zusammengeschlagen. Er brach mir das Nasenbein, vielleicht mit einem Kopfstoß. Er verletzte mich an den Augen und Ohren, vermutlich mit der Schnürung seiner Handschuhe  … Mein Gesicht war von der rechten Schläfe über Wange und Kinn bis fast zur anderen Wange hinauf geschwollen. Der Ringrichter war blutbespritzt, der ganze Ring war voller Blut … Aber in diesem ersten Kampf, in dem ich meinen Titel im amerikanischen Halbschwergewicht verlor, lernte ich, wie ich Harry eventuell schlagen könnte. Ich hatte im Grunde Glück. Wenn wir in diesen Tagen Ringärzte gehabt hätten wie heute – die ihre Nasen in alles stecken, was im Ring passiert, und selbst die oberflächlichsten Verletzungen untersuchen –, hätte man diesen Kampf abgebrochen, bevor ich auch nur eine Chance gehabt hätte zu lernen, wie ich Greb schlagen könnte. Möglicherweise hätte man nie wieder etwas von mir gehört – sicher sogar.
    Man kann also sagen, dass sich Tunneys Karriere auf Schmerzen aufbaute. Ohne sie wäre er nie in eine Klasse mit Dempsey aufgerückt.
    Tommy Loughran, Halbschwergewichtsmeister der Jahre 1927 bis1929 , war ein Boxer, der von anderen Boxern sehr bewundert wurde. Sein Zugang zum Boxen war – wie der Tunneys – sozusagen wissenschaftlich, als Erster studierte er den Stil seiner Gegner und entwarf Strategien für jeden Kampf, wie Boxer und Trainer es heutzutage ganz selbstverständlich tun. Loughran brachte in seinem Studio Spiegel an, damit er sich beim Training beobachten konnte, denn kein Boxer, sagte er, sieht sich je so, wie sein Gegner ihn sieht. Er sieht den Gegner, aber nicht sich selbst als Gegner. Das Geheimnis Loughrans war, dass er sich leicht die rechte Hand

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