Über Boxen
brach. So konnte er sie während des Kampfs nur einmal einsetzen: für den entscheidenden Treffer. «Ich musste meinen Gegner k . o. schlagen, meine Hand tat danach so weh, dass ich sie nicht mehr gebrauchen konnte. Mit meinem linken Haken konnte ich jeden zu Boden strecken, aber ich wagte nie, ihn einzusetzen, weil ich Angst hatte, erledigt zu sein, wenn ich mich an der linken Hand verletzte.»
Es ist interessant, dass beide, Tunney wie Loughran, sich, lange bevor sie es mussten, vom Boxen zurückzogen. Tunney wurde ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann, Loughran ein sehr erfolgreicher Makler an der Wall Street. (Ich erwähne das, um der verbreiteten Meinung entgegenzutreten, Boxer seien allesamt dumm, Analphabeten oder Säufer.)
Und dann gab es Carmen Basilio! Vor allem beliebt wegen seiner Risikofreudigkeit im Ring, seines Alles-oder-nichts-Stils. Basilio war von 1955 bis 1957 Weltmeister im Mittelgewicht und Weltergewicht. Stoisch und entschlossen setzte er sich bewusst Treffern aus, um dann seinerseits machtvolle Schläge auszuteilen. Zuschauer staunten, was Basilio einzustecken vermochte, obwohl er selbst behauptete, nicht in dem Maß getroffen zu werden, wie die anderen das annahmen. Und wenn er getroffen wurde, und zwar schwer:
Die Leute verstehen nichts davon, wie es ist, wenn man von einem K.-o.-Schlag am Kinn getroffen wird. Das ist eine reine Nervensache. Man kriegt davon keine Gehirnerschütterung. Ich wurde einmal aufs Kinn getroffen (in einem Kampf gegen Tony DeMarco 1955). Es war ein linker Haken, der mich rechts traf. Und dann passiert Folgendes: Es renkt dir den Kiefer aus, der wird nach links geschlagen, und der Nerv dort lähmt die gesamte linke Seite des Körpers, besonders die Beine. Mein linkes Bein zog sich zusammen, und ich ging fast zu Boden. Als ich in meine Ecke im Ring kam, hatte ich das Gefühl, zehn Zentimeter lange Nadeln im Fuß zu haben. Ich stampfte andauernd mit dem Fuß auf, um die Sache wieder in Ordnung zu bringen. Und als der Gong ertönte, war die Sache o . k.
Basilio stammt, wie LaMotta, Graziano, Zale, Pep, Saddler, Gene Fullmer, Dick Tiger und Kid Gavilan, aus der rauen Ära des Boxens. Es war eine Zeit, in der ein Ringrichter ein Auge zudrückte oder sich zumindest nicht groß einmischte, wenn zwei Boxer sich nicht an die Regeln hielten.
Über Muhammad Ali auf dem Höhepunkt seiner Karriere sagte Norman Mailer: «Er schien von der Voraussetzung auszugehen, dass es obszön sei, getroffen zu werden.» Aber in den Kämpfen gegen Ende seiner Karriere, wie zum Beispiel dem gegen George Foreman in Zaire, war sogar Muhammad Ali bereit, sich treffen und verletzen zu lassen, um seinen Gegner zu besiegen. Aggressiv auftretende Boxer – wie Jake LaMotta, Rocky Graziano, Ray Mancini – haben gar keine andere Wahl, sie müssen fürchterliche Schläge einstecken, um sich auch nur einen kleinen Vorteil zu erkämpfen (und auch der ist nicht immer sicher). Und zweifellos setzen sich manche Boxer Verletzungen aus, um eine Schuld zu sühnen, in einer Art dostojewskijschem Austausch von körperlichem Wohlbefinden gegen ein ruhiges Gewissen. (Man lese dazu nur Jake LaMottas Autobiografie «Raging Bull» .) Boxen ist eher eine Sache des Geschlagenwerdens als des Schlagens, und es geht mehr darum, Schmerz, und selbst schwerste psychische Ausfallerscheinungen, auszuhalten, als zu gewinnen. An den «tragischen» Karrieren beliebig vieler Boxer sieht man deutlich, dass sie den Schmerz im Ring der Schmerzlosigkeit des Alltagslebens vorziehen. Wenn ein Boxer nicht zuschlagen kann, so kann er doch getroffen werden, und dann weiß er wenigstens, dass er noch am Leben ist.
Man könnte sagen, das Wichtigste am Boxen sei der Körper, ein Körper, der fähig ist, gegen andere trainierte Körper zu kämpfen. Nicht das öffentliche Schauspiel oder der Kampf selbst, sondern das rigorose Trainingsprogramm, das vor jedem Kampf kommt, verlangt die härteste Disziplin, und am Training liegt es, wenn ein Boxer physisch oder psychisch versagt. (Wenn ein Boxer älter wird, bekommt er immer jüngere Sparringspartner, der Kampf selbst wird zusehends verzweifelter.)
Was dieses Training anbelangt, gibt es eine gewisse, wenn auch indirekte und einseitige Verwandtschaft zwischen dem Künstler und dem Boxer. Es ist dieselbe fanatische Unterwerfung der eigenen Persönlichkeit unter ein selbst gewähltes Schicksal. Man könnte das zeitgebundene öffentliche Spektakel eines Boxkampfes (der schmähliche
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