Über Boxen
brutalem, mitleidlosem Scheinwerferlicht, im Angesicht einer ungeduldigen Menge? Diese Art von höllischer Metapher, wie Schriftsteller sie kennen – es wäre vorstellbar. Das Leben gleicht dem Boxen in vielen beunruhigenden Beziehungen. Aber Boxen gleicht nur sich selbst.
Fünfhundert Boxkämpfe, die man gesehen hat, sind fünfhundert verschiedene Boxkämpfe, doch selbst diese auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen – und den gibt es sicherlich –, interessiert niemanden. «Wenn die Hostie nur ein Symbol ist», sagte die katholische Schriftstellerin Flannery O’Connor einmal, «dann zum Teufel damit.»
Ich bin ein Kämpfer, und ich habe nichts anderes im Kopf; ich
denke daran, wenn ich herumlaufe, wenn ich rede, immer. Aber
ich versuche, es mir nicht anmerken zu lassen.
Marvelous Marvin Hagler,
Weltmeister im Mittelgewicht
Man kann Boxer mit Tänzern vergleichen: Beide «sind» Körper und nichts anderes. Und diese Körper gewinnen ihre Identität, indem sie in eine bestimmte Gewichtsklasse eingeordnet werden: 1
Schwergewicht
über 90 , 781 kg
Cruisergewicht
bis 90 , 781 kg
Halbschwergewicht
bis 79 , 378 kg
Mittelgewicht
bis 72 , 574 kg
Junior-Mittelgewicht
bis 69 , 853 kg
Weltergewicht
bis 66 , 678 kg
Junior-Weltergewicht
bis 63 , 503 kg
Leichtgewicht
bis 61 , 235 kg
Junior-Leichtgewicht
bis 58 , 967 kg
Federgewicht
bis 57 , 153 kg
Junior-Federgewicht
bis 5 5 , 225 kg
Bantamgewicht
bis 53 , 525 kg
Fliegengewicht
bis 50 , 802 kg
Obwohl die alte Weisheit, dass ein guter schwerer Boxer einen guten leichten Boxer immer schlagen werde, viele Male widerlegt worden ist (in jüngster Zeit erst von Michael Spinks bei seinem Sieg über Larry Holmes), ist es doch die Regel, dass sich ein Boxer ernste Schwierigkeiten einhandelt, wenn er nicht in seiner Gewichtsklasse kämpft: Er kann «aufsteigen», aber mit größter Wahrscheinlichkeit ist seine Schlagkraft dann nicht mehr dieselbe. Während man es früher mit den Gewichtsunterschieden bei Boxern nicht so genau nahm (und das Boxen damit ein Spiegel des menschlichen Lebens mit seinen ungleichen Kämpfen war), haben Promoter und Kommissionen inzwischen eine wahrhaft byzantinische Gewichtshierarchie geschaffen. Theoretisch sollen diese ausgetüftelten Gewichtsklassen verhindern, dass ungleichwertige Gegner aufeinandertreffen; in der Praxis wirkt sich das aber, zum Glück für die Boxer, so aus, dass es mehrere Meistertitel zu gewinnen gibt, was natürlich ein lukratives Geschäft ist. So versuchen ehrgeizige Boxer heute nicht mehr, nur einen Meistertitel zu gewinnen, sie versuchen, berühmt zu werden – unsterblich. Sie streben Titel der verschiedensten Gewichtsklassen an – wie Sugar Ray Robinson (Weltmeister im Weltergewicht und Mittelgewicht, der vergeblich versuchte, Joey Maxim den Titel im Halbschwergewicht streitig zu machen) oder Roberto Durán (Weltmeister im Leichtgewicht, Weltergewicht und Junior-Mittelgewicht, der ebenfalls ohne Erfolg versuchte, einen Fuß ins Mittelgewicht zu bekommen) 2 und Alexis Arguello (Weltmeister im Federgewicht, Junior-Leichtgewicht und Leichtgewicht, der hoffte, einen Junior-Weltergewichtstitel zu gewinnen, bevor er sich kürzlich aus dem Boxsport zurückzog).
Es ist vorgekommen, dass Boxer, um eine bestimmte Gewichtsklasse zu erreichen, bis kurz vor dem Kampf gefastet und sich härtestem Training unterworfen haben – sie riskieren damit schwerste Verletzungen im Ring. So wie unlängst der WBA -Bantamgewichtschampion Richie Sandoval, der in sehr kurzer Zeit fünf Kilo abnahm und in dem Match gegen Gaby Canizales im März 1986 deshalb fast getötet wurde. Als Michael Spinks im September 1985 in die Boxgeschichte einging, weil er als erster Halbschwergewichtler den Schwergewichtstitel gewann, galt die Aufmerksamkeit der Medien im gleichen Maße Spinks’ Körper wie seiner Boxkunst. Denn Spinks hatte eine körperliche tour de force hinter sich, und zwar erfolgreich: Mit Hilfe seines Trainers und eines Ernährungsspezialisten hatte er seinen Körper in den eines echten Schwergewichtlers verwandelt. Er wog neunzig Kilogramm, und das waren solide Muskeln. Es spielte keine Rolle, dass sein Gegner Larry Holmes an die zehn Kilogramm schwerer war, denn Spinks hatte nicht einfach zugenommen, er hatte einen «neuen» Körper. Und er bewahrte sich diesen erstaunlichen neuen Körper und verteidigte seinen Titel in einem zweiten Kampf gegen Holmes, den er ebenfalls gewann. Weiter kann Boxfanatismus
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