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Über Boxen

Über Boxen

Titel: Über Boxen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates
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Verschleißerscheinungen zeigen sich bereits bei jungen und noch starken Boxern und werden von den Rivalen, die auf die geringsten Anzeichen von Schwäche warten, genau registriert. (Nachdem der Junior-Weltergewichtschampion Aaron Pryor letztes Jahr einen glanzlosen Kampf gewonnen hatte, sagte ein jüngerer Boxer seiner Gewichtsklasse, den man am Ring interviewte, lächelnd: «Mir läuft das Wasser im Mund zusammen.» Und es gibt das kühne Wort des neunundzwanzigjährigen Billy Costello: «Wenn ich einen alten Dreiunddreißigjährigen nicht schlagen kann, sollte ich in Pension gehen.» Er sagte es kurz vor seinem Kampf mit Alexis Arguello, der ihn nach ein paar Runden k . o. schlug.)
    Innerhalb des Rings läuft die Zeit in eigenartigem «Zeitlupentempo» ab – Amateure boxen nie mehr als drei Runden, und für die meisten sind diese neun Minuten mehr als genug –, aber außerhalb des Rings rast die Zeit. Ein dreiundzwanzigjähriger Boxer ist nicht mehr jung, jedenfalls nicht im gleichen Sinn wie andere Dreiundzwanzigjährige; ein Fünfunddreißigjähriger ist alt. (Deshalb war es ein tragischer Fehler, dass Muhammad Ali, nachdem er zum zweiten Mal seinen Weltmeistertitel verloren hatte, mit achtunddreißig Jahren versuchte, Larry Holmes zu schlagen; und Holmes machte Jahre später denselben Fehler, setzte sich sinnlos sowohl schweren Verletzungen wie professionellem Abstieg aus, als er sich dem Halbschwergewichtschampion Michael Spinks stellte. Der Sieg des siebenunddreißigjährigen Jersey Joe Walcott über den dreißigjährigen Ezzard Charles im Kampf um den Titel im Schwergewicht 1951 ist in seiner Art einzigartig. Dasselbe gilt für Archie Moore.) Alle Athleten altern schnell, aber keiner so schnell und so sichtbar wie ein Boxer. Deshalb ist es etwas völlig anderes, große Boxer zu ihrer Zeit gesehen zu haben, da sie Weltmeister waren, als jetzt, da sie nur noch große Namen sind. Jack Johnson, Jack Dempsey, Joe Louis, Sugar Ray Robinson, Rocky Marciano, Muhammad Ali, Joe Frazier – als Zuschauer wissen wir nicht nur, wie ein Kampf, sondern auch, wie eine Karriere endet. Wir sehen nicht nur diese zehn oder fünfzehn Runden, sondern den Verlauf eines ganzen Lebens …
    Das, was Menschen wertvoll ist,
    Währt allerhöchstens einen Tag.
    Die Lust treibt ihm die Liebe aus,
    Der Pinsel tilgt den Malertraum.
    Und Heroldruf, Soldatenschritt
    Erschöpfen doch nur Macht und Ruhm:
    Denn alles, was die Nacht erhellt,
    Kommt aus verharztem Menschenherz.
    William Butler Yeats in
    «The Resurrection» 7
    Wenn ich Blut sehe, werde ich zum Stier.
    Marvin Hagler
    Ich muss Boxen nicht als Sport rechtfertigen, weil ich es nie als Sport gesehen habe.
    Boxen hat grundsätzlich nichts Spielerisches, nichts Helles, nichts Gefälliges an sich. In seinen intensivsten Momenten ist es ein so machtvolles Bild des Lebens und all seiner Facetten – Schönheit, Verletzlichkeit und Verzweiflung, unberechenbarer und oft selbstzerstörerischer Mut –, dass es das Leben selbst ist und kaum ein bloßer Sport. Bei einem großen Kampf (zum Beispiel dem ersten von Ali gegen Frazier) sind wir erschütterte Zeugen einer Besinnung des Körpers auf sich selbst mittels eines anderen unnachgiebigen Leibes. Es ist die Zwiesprache des Körpers mit seinem Schatten – oder dem Tod. Andere Sportarten wie Baseball, Football, Basketball sind eindeutig Sport, sie enthalten ein spielerisches Element. Man spielt Football, aber man spielt nicht Boxen.
    Beobachtet man erwachsene Männer bei irgendeiner Art von Mannschaftssport, wird deutlich, dass sie im wahrsten Sinn des Wortes zu Kindern werden. Aber die elementare Wildheit des Boxens hat nichts mit Kindheit zu tun. (Obwohl schon sehr junge Männer boxen, sogar professionell, und viele spätere Weltmeister mit vierzehn oder fünfzehn Jahren begannen. Mit sechzehn boxte Jack Dempsey, der sich ohne festen Wohnsitz im Westen herumtrieb, für wenig Geld in den Saloons, ohne Ringrichter, und es wäre nichts Besonderes gewesen, wenn er in einem dieser Kämpfe getötet worden wäre.) Wer bei Sportveranstaltungen zuschaut, erlebt das Gemeinschaftsgefühl wieder, das er aus der Kindheit kennt, und das ist das größte Vergnügen. Wer einem Boxkampf zuschaut, erlebt die mörderische Kindheit der menschlichen Rasse. Das erklärt die barbarische Wut, die Zuschauer von Boxkämpfen manchmal packt – wie zum Beispiel die hauptsächlich aus Hispaniern bestehende Menge, die mit lautem Jubel reagierte, als der Waliser

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