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Über Boxen

Über Boxen

Titel: Über Boxen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates
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verheerende Treffsicherheit seiner Fäuste, sondern auch durch minimalistische Beinarbeit und kraftvolle Kombinationen. Nach heutigen Post-Sonny-Liston-Maßstäben war er mit 1,87 Meter, einer Reichweite von 1,93 Meter und 90 Kilogramm (1936) ein «kleines» Schwergewicht, aber Louis hatte unverhältnismäßig große Hände und mächtige, muskulöse Handgelenke, Unterarme und Beine. In den berühmten frühen Kämpfen, von denen es Filmaufzeichnungen gibt, gleicht er eher einem Mittelgewicht des 21. Jahrhunderts als einem Schwergewicht. Man sieht, wie Louis’ Unerfahrenheit ihn in der Begegnung mit Schmeling 1936 den Kampf gekostet hat. Der deutsche Boxer hatte sich Filme von Louis’ Kämpfen angesehen und darin eine charakteristische Verteidigungsschwäche entdeckt: Louis ließ nach jeder Linken unbewusst die Hand sinken. (Der «Cinderella Man» James J. Braddock, Schwergewichtschampion von 1935 bis1937 , drückte es etwas salopper aus: Louis «kriegt man mit der Rechten dran; nach jedem Jab lehnt er sich weit vor und hält einem die Fresse hin, wie wenn er darum betteln würde, verprügelt zu werden».) Bis zu dem von den Medien hochgeschaukelten Rückkampf am 22. Juni 1938 – an diesem Tag hieß es «Joe Louis gegen Adolf Hitler» – hatte Louis gelernt, diesen Fehler nicht mehr zu machen, und das hatte verheerende Folgen für seinen älteren Gegner. Der Sieg des amerikanischen «Braunen Bombers» über den deutschen «Altar für die Männlichkeit» war so eindeutig, dass nicht einmal die misstrauische deutsche Presse, die sich die Filme über den Kampf genau angesehen hatte, ihn anfechten konnte.
    Zum Zeitpunkt seines ersten Rückzugs 1949 hatte Joe Louis nach fünfzehn Jahren und fünfundzwanzig Titelverteidigungen eine glänzende Bilanz von sechzig Siegen (davon einundfünfzig durch K . o.) und nur einer Niederlage. Damit zählt Louis neben seinem umstrittenen Vorgänger Jack Johnson, dem ersten schwarzen Schwergewichtschampion (1908–1915), und seinem noch berühmteren Nachfolger Muhammad Ali (1964 – 1967 , 1974–1978 und 1978–1979) zu den größten Schwergewichtsboxern der Geschichte und war beispielsweise Rocky Marciano, der ihn 1951 nach Louis’ unvernünftigem Comeback geschlagen hatte, weit überlegen. Wie so viele ehemalige Champions war auch Louis gezwungen, seine Karriere aus finanziellen Gründen wieder aufzunehmen, mit demütigenden Folgen. Seine Bücher waren dermaßen schlampig geführt worden, dass Louis, obwohl er bis Ende der Vierzigerjahre nachweislich 4,6 Millionen Dollar verdient hatte, praktisch mit leeren Händen dastand. (Anfang der Vierzigerjahre hatte er in einer ebenso patriotischen wie naiv-großzügigen Geste zwei Kampfbörsen für Kriegszwecke gespendet, und nun forderte die Bundessteuerbehörde für diesen Betrag gnadenlos Steuern von fast einer halben Million Dollar, Mitte des Jahrhunderts ein ungeheurer Schuldenberg.) Wie in einem bitterbösen Märchen beendete der am meisten verehrte Athlet seiner Zeit, der Mann, der für «die größte Demonstration der Einheit der Schwarzen in der Geschichte Amerikas» verantwortlich war, seine Laufbahn als Wrestler und schließlich drogenabhängig und paranoid als «greeter» im Caesars Palace in Las Vegas, wo er 1981 im Alter von sechsundsechzig Jahren einen körperlichen Zusammenbruch erlitt und an Herzversagen starb.
    Ganz anders der ewig findige, chamäleonartige, weltgewandte Max Schmeling. Er überlebte ironischerweise nicht nur das brutale Auf und Ab im Ring und das Trauma seiner Niederlage von1938 , sondern brachte es fertig, seinen Ruf als Held der Heimat – «Deutscher Meister aller Klassen» – eine endlose, dauerhafte Karriere voller Eigenwerbung und Selbstmythologisierung hindurch aufrechtzuerhalten. Wie Margolick schreibt: «Der Mann, der geschmeidig genug gewesen war, um sich der Weimarer Republik und dem Dritten Reich anzupassen, entwickelte sich nun genauso leicht zu einem Musterbeispiel für Westdeutschlands Wirtschaftswunder und junge Demokratie.» Schmeling wurde neunundneunzig Jahre alt, er starb als Millionär.
    Während Joe Louis trotz seiner Überlegenheit im Ring den Eindruck erweckt, im Grunde passiv und leicht manipulierbar zu sein (siehe Joe Louis: «My Life» , 1978), scheint Max Schmeling ein äußerst geschickter Strippenzieher gewesen zu sein. Äußerlich glich Max Schmeling in Shorts eher dem «Manassa Mauler» Jack Dempsey und wirkte keineswegs wie die Verkörperung blonder arischer

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