Über Boxen
sparrte er noch mit jungen Boxern, trat vor jedem zahlenden Publikum als Schattenboxer auf und ließ sich in einem Keller-Tingeltangel namens «Huberts Museum und Flohzirkus» in der Nähe des Times Square bestaunen. Für Jack Johnson ein albtraumhaftes Ende, sollte man meinen:
Um Johnson persönlich zu sehen, mussten die Besucher einen Vierteldollar zahlen … Ein gelangweilter Billetverkäufer saß in einer Nische, die mit vergilbten Zeitungsausschnitten aus Johnsons Karrierezeit tapeziert war, und gab einem ohne aufzusehen das Wechselgeld heraus … Die Besucher schoben sich durch ein kleines Drehkreuz, gingen eine Treppe hinunter und nahmen in dem feuchten, schlecht beleuchteten Keller ihre Plätze ein. Es folgte eine langweilige Nummer auf die andere – ein Schwertschlucker, ein dressierter Hund, ein Mannweib …
Ruhig betrat Johnson die Bühne; er trug eine blaue Baskenmütze, eine blaue Krawatte und einen abgetragenen, aber gut geschnittenen Anzug. In der Hand hielt er ein Glas Rotwein mit einem Strohhalm. Er lächelte und fragte die Zuschauer, was sie wissen wollten.
Es stimmt schon, Joe Louis war ein Traum für die Werbung, ein begabter Athlet, der es hinnahm, dass er zu einem «guten Neger» gemacht wurde, das heißt zu einem, den man dem weißen Publikum verkaufen konnte; Jack Johnson hätte das niemals fertiggebracht. Doch es ging aus wie in einem der manchmal grausam ironischen Märchen der Brüder Grimm: Am Ende seines Lebens landete Louis als «greeter» im Caesars Palace, Las Vegas, und spielte dort sich selbst; er war noch höher verschuldet als Johnson, noch verzweifelter, noch kränker.
[Der Tonfall der von einem Ghostwriter geschriebenen Memoiren « My Life » (1978) täuscht darüber hinweg, wie jämmerlich Joe Louis’ späteres Leben war. Die verheerenden Auswirkungen von Louis’ Krankheit, seelischer Instabilität und finanziellen Sorgen werden geschickt vertuscht. Obwohl erst Anfang sechzig, war Louis zu einem ältlichen, verwirrten, in einem Spielkasino angestellten Maskottchen geworden:
Ach, mir geht’s gut in Vegas. Muss mich nicht immer so fein anziehen … Trag nur ein Freizeithemd, natürlich meistens aus Seide, einen Cowboyhut oder eine Baseballkappe, bequeme Hosen und manchmal Cowboystiefel … ich sehe all meine alten Freunde, wenn sie hierherkommen, um sich zu amüsieren. Frank Sinatra und ich, wir kennen uns schon lange. 16 ]
Trotz «Huberts Museum und Flohzirkus» scheint Johnson bis zuletzt durchaus er selbst geblieben zu sein; er starb im Alter von achtundsechzig Jahren bei einem Autounfall in der Nähe von Raleigh, North Carolina, am Steuer seines schnellen Lincoln Zephyr, Berichten zufolge bei Tempo hundertzehn. Als Grund für sein rasantes Fahren wird angegeben, er sei empört gewesen, dass man ihm in einem Diner gesagt habe, er dürfe nur hinten essen.
* * *
Wie der Philosoph dazu neigt, sich so sehr in Abstraktionen zu verlieren, dass das eigentliche Thema scheinbar belanglos wird – buchstäblich zu einem «Nichts» –, kann der Historiker, wenn er sich richtig ins Zeug legt, dermaßen viele Tatsachen, Details und Zitate ansammeln, dass der Leser unter dem Andrang von all diesem «Etwas» verloren geht. Da «Unforgivable Blackness» vermutlich die endgültig maßgebliche Biografie von Jack Johnson sein wird, ist es besonders bedauerlich, dass eine Zeittafel zu Johnsons faktenreichem Leben fehlt. Wenn man mittendrin steckt und wissen will, um welches Jahr es gerade geht, muss man schon das Register zurate ziehen und nachsehen, wann der jeweilige Zeitungsartikel erschienen ist. Den meisten Lesern von Boxerbiografien darf man wohl unterstellen, dass sie ein mehr als flüchtiges Interesse am Boxen haben, doch Ward hängt keine Liste von Jacksons Kämpfen an, ein enttäuschendes und unbegreifliches Versäumnis. (Stark verkürzt umfasst Johnsons Bilanz 113 Kämpfe: 79 Siege, 12 Unentschieden, 8 Niederlagen, 14 ohne Entscheidung. 17 Zum Vergleich hierzu Jack Dempsey mit 80 Kämpfen: 61 Siege, 7 Unentschieden, 7 Niederlagen, 5 ohne Entscheidung, 1 ohne Wertung; Joe Louis mit 70 Kämpfen, davon 67 Siege, 3 Niederlagen, und Muhammad Ali mit 61 Kämpfen: 56 Siege, 5 Niederlagen.) Außerdem endet die Biografie etwas zu abrupt mit Johnsons Tod und Begräbnis; wir verspüren das Bedürfnis nach einem Epilog, einer Gesamtschau auf Johnsons Vermächtnis, das historische und das mythische. Keine Sportart treibt mehr Kult mit ihrer Vergangenheit als das Boxen, und in
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