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Über Boxen

Über Boxen

Titel: Über Boxen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates
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Bundesstaat in einen anderen oder ins Ausland zu verbringen». Obwohl das Gesetz den Mädchenhandel und die illegale Prostitution aufs Korn nahm, nicht die außerehelichen Abenteuer von Einzelpersonen, führte die Staatsanwaltschaft von Chicago mit größtem Eifer einen Prozess, der auf der voreingenommenen und unzuverlässigen Aussage eines weißen Callgirls fußte, einer ehemaligen Freundin von Johnson:
    Um Belles Version der Ereignisse zu untermauern und auszuschmücken, schwärmten Bundesbeamte heimlich, still und leise ins ganze Land aus und befragten Prostituierte, Chauffeure, Kellner, Hotelpagen, Schlafwagenschaffner, Exmanager und ehemalige Sparringspartner, um irgendetwas – alles  – zu finden, was den Vorwurf erhärten konnte, dass der Champion gegen das Gesetz verstoßen habe …
    Obwohl er einzelne Personen bestach, die den Prozessausgang möglicherweise beeinflussen konnten, wurde Johnson schuldig gesprochen und zu einem Jahr und einem Tag Gefängnis verurteilt. Er floh mit seiner zweiten Frau Lucille – der jungen Blondine, deren Begleitung für einen Skandal gesorgt hatte – ins Ausland und lebte dort mehrere Jahre, doch schließlich kehrte er hochverschuldet in die Vereinigten Staaten zurück, um seinen Titel (erfolglos) gegen den «Pottawatomie-Riesen» Jess Willard zu verteidigen, einen vierschrötigen Schwergewichtler, der außer seiner Größe und seiner Reichweite von 213 Zentimetern keine ersichtliche Begabung fürs Boxen besaß, und um in Leavenworth, Kansas, seine Gefängnisstrafe abzusitzen. Wie nicht anders zu erwarten, machte sich der charismatische Johnson dort Freunde, nicht nur unter seinen Mitgefangenen, sondern auch in der Gefängnisverwaltung; der weiße Aufseher behandelte seinen berühmten Gefangenen unverhofft großzügig. Er mochte sich auf dem Weg nach unten befinden, ein ehemaliger Champion Anfang vierzig, der keine Aussicht auf einen Titelkampf gegen den neuen Champion Dempsey hatte (dieser hatte den plumpen Pottawatomie-Riesen in einem extrem blutigen Kampf, den man heute schon in der ersten Runde abbrechen würde, überwältigt), doch Johnsons Entlassung aus Leavenworth war offenbar eine Zeitungsmeldung wert:
    Sechs Kameramänner standen bereit, um den Augenblick einzufangen. Johnson war gekleidet, wie nur er sich zu kleiden verstand: Strohhut, feiner, maßgeschneiderter grauer Anzug, blendend weißes Hemd mit weichem Kragen, helle getüpfelte Krawatte, glänzende Lacklederschuhe … «Da standen vier Bands. Und Hunderte von Schaulustigen.»
    Zumindest lautet so der Bericht des «fröhlichen Fabulierers» Johnson in seiner Autobiografie «In the Ring and Out» .
    Wie so viele alternde Exchampions suchte Johnson weiterhin das Rampenlicht, das nach den Worten seines Biografen «seinem Leben Bedeutung verlieh». Er unterschrieb einen Vertrag mit einer Vaudeville-Truppe, in der, wie er sich brüstete, «alle Darsteller außer mir weiß waren». Er wurde als Sparringspartner für den großspurigen jungen argentinischen Schwergewichtler Luis Angel Firpo angestellt, sehr gut bezahlt und bald wieder entlassen, weil er sich vor den Zuschauern im Gym in den Vordergrund spielte. Er tingelte mit entwürdigenden Varieté-Shows durch die Provinz, wo er, der so sprachgewandt war, in einer Art «Schwarzenslang für die Bühne» Witze erzählen sollte. Er begann zu trinken. Lucille ließ sich von ihm scheiden, aber fast sofort materialisierte sich aus einem anscheinend unerschöpflichen Vorrat an weißen Frauen eine dritte Ehefrau, Irene Pineau. Im Alter von siebenundfünfzig, wider Willen beeindruckt von den Boxfähigkeiten des jungen Joe Louis, erbot sich Johnson, Louis zum Champion zu machen, holte sich aber von Louis’ Manager eine grobe Abfuhr:
    «Mit einem Fluch jagte er Johnson hinaus», erinnerte sich Louis, «und warf ihm vor, er habe mit seinem Benehmen jahrelang jeden Fortschritt für die Schwarzen unmöglich gemacht; er sei ein gemeiner Schurke und übler Nigger und solle sich in meinem Trainingslager nicht mehr blicken lassen.»
    Um sich zu rächen, wettete Johnson hoch auf Max Schmeling in dessen erstem Kampf gegen Louis, und als Schmeling siegte, brüstete sich Johnson so lauthals mit seinem Gewinn, dass ihn (weiße) Polizisten vor einer Schar verärgerter Schwarzer in Schutz nehmen mussten.
    Für den Rest seines Lebens spielte Johnson für eine immer kleinere Gage seine Rolle als ehemaliger erster schwarzer Schwergewichtschampion. Er war schon über sechzig, da

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