Über das Haben
gehören. Denn in deren Lehren ist immer schon von manchen Kanzeln und Lehrstühlen herab die
conditio humana
als
conditio temporalis
erläutert und verkündet worden.
Mit dem vorwiegend skeptischen Weltwissen der genannten philosophischen Disziplinen ausgestattet, räumt Heidegger ohne Zögern ein, dass keineswegs alle Menschen bereit und willens sind, die Zeitlichkeit als «Sinn des Daseins» anzunehmen. Denn jedes Ich ist in seiner gesellschaftlichen Existenz immer auch ein Jedermann («man»), der sich nur allzu gerne in der trügerischen Sicherheit wiegt, es werde auch in Zukunft alles ungefähr so bleiben, wie es gegenwärtig ist. Mit diesem Trost wird auch wohl das Ende der Lebenszeit, das für die Zukunft natürlich bevorsteht, «vorläufig noch nicht» eintreten. Denn «bis zum Ende HAT es immer noch Zeit».
Um nun den möglichen Beitrag des HABENS zur Zeitlichkeit des DASEINS näher zu beschreiben, wird die Frage sein müssen, welches in der Ontologie, wie sie von Heidegger für das DASEIN konzipiert worden ist, diejenigen Kontaktstellen sind, an denen die Lehre vom HABEN an die Lehre vom SEIN angedockt werden kann. Es sind deren drei: erstens die Lehre von dem dienlichen «Zeug» – zweitens das alltägliche «man» – drittens die bedeutungsschwere Zukunfts-Präposition «vor».
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Als erste Kontaktstelle für eine Vernetzung von SEIN und HABEN , von DA-SEIN und DA-HABEN , kann die bekannte Unterscheidung dienen, die Heidegger zwischen denjenigen Sachen getroffen hat, die «vorhanden» sind, und denen, die «zuhanden» sind. Sein fast ausschließlichesInteresse gilt den letzteren, die von Heidegger auch «Zeug» genannt werden. Damit ist prototypisch jede Art Werkzeug angezeigt: eine Zange, eine Feile, ein Hammer. Doch muss nicht unbedingt immer ein professionelles Werkzeug gemeint sein; jede bewegliche Sache (
res mobilis
) kann in einer gegebenen Situation als Quasi-Werkzeug dienen und in dieser Funktion an einer anderen Sache oder sogar an einem lebenden Objekt eine nützliche oder unnützliche Veränderung bewirken.
Auch in seine Lehre vom «Zeug» lässt Heidegger viele Vorstellungen einfließen, die ursprünglich in der Anthropologie zu Hause sind. Denn in der Anthropologie wird der Mensch schon seit den Urzeiten der Evolution durch die Fähigkeit zum Werkzeuggebrauch definiert. Solche prähistorischen Spuren werden jedoch von Heidegger nicht aufgenommen und auch in ihren Konsequenzen nicht weiter bedacht. Es genügt ihm der phänomenologische Befund, dass irgendein Zeug und Werkzeug «zuhanden», also «da» ist und dass es dem Menschen in seinem DASEIN «dienlich» sein kann.
In diesen Gedanken des Autors von «Sein und Zeit» ist latent eine Lehre vom HABEN enthalten. Denn eine Zange, eine Feile, ein Hammer: solche und andere ähnliche Werkzeuge sind dem Menschen nur dann verfügbar und in diesem Sinne «zuhanden», wenn man sie DA HAT , wenn sie also gewissermaßen als technische Verlängerungen und Funktionserweiterungen seiner Organe mehr oder weniger fest «zu ihm gehören». Das ist ihre Zugehörigkeit (Pertinenz), von der in diesem Buch später noch ausführlicher die Rede sein wird (vgl. Kap. 7). So kann also gerade am «Zeug» der Nachweis geführt werden, dass zur Kategorie des SEINS , wenn es als DA-SEIN gelebt wird, auch das DA-HABEN gehört, mit dessen Hilfe die Zeitlichkeit, um es mit einem schönen altdeutschen Wort zu sagen, «handsam» gemacht werden kann.
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Die zweite Kontaktstelle für eine Vernetzung des HABENS mit dem SEIN im Rahmen einer integralen Ontologie ist das bereits kurz besprochene Wörtchen «man». Die philosophische Statisten-Rolle, die Heidegger dem «man» einräumt, ist wenig befriedigend. Dieser bei ihm immer negativ konnotierte Kollektiv-Ausdruck überlagert und verdeckt in seinem Werk den durchgehend fehlenden Plural mitsamt dessen Differenzierungsangeboten. «Ich bin» auf der einen Seite und «man ist» auf der anderen Seite, das ist für das DA-SEIN eine blasse Alternative, bei der die Vielheit möglicher Subjekte und Objekte des HABENS außer Betracht bleibt, von deren Totalität ganz zu schweigen. Mit dieser Theorielücke können sich Linguisten, die von ihrer Profession her immer den Plural (der Sprachen, der Texte, der Formen …) mitbedenken müssen, nicht abfinden. Auch in dieser Hinsicht kann das HABEN dem SEIN einen wertvollen Dienst leisten. Es ist ja immer pluralfreundlich, denn der eine HAT dies und der andere HAT das, und so ist
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