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Über das Haben

Über das Haben

Titel: Über das Haben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Weinrich
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«vorlaufenden Entschlossenheit» und damit am «Sein zum Tode» partizipiert.[ 3 ] Dieser Einschränkung kann ich mich allerdings meinerseits nicht fügen. Ich werde nämlich versuchen, das in Frage stehende Problem aus dem ansehnlichen Haus des SEINS herauszuholen auf den umgebenden Hof des HABENS . Wenn nämlich jenes Haus nach den befristeten Mietverträgen des DA-SEINS bewohnt wird, dann gehört auch der Hof als willkommener Ort des DA-HABENS dazu. Auf ihm ist jedes HABEN prinzipiell «da», um der Zeitlichkeit irgendwie dienlich zu sein, und sei es lediglich, um deren Endlichkeit für eine knappe Lebenszeit möglichst erträglich oder vielleicht sogar erfreulich zu machen.

– 5 –

HABEN UND SEIN IN FRANKREICH – MIT GABRIEL MARCEL, SARTRE, BOURDIEU
    Die kühne Gedankenbrücke, die von Martin Heidegger in seiner Neukonzeption der Ontologie zur Verbindung von SEIN und ZEIT geschlagen worden ist, hat in Frankreich eine bemerkenswerte Rezeptionswelle ausgelöst, die häufig mit solchen Leitbegriffen wie Existenz-Philosophie oder Existenzialismus verbunden war. Bei einigen französischen Denkern, die wir hier kurz besprechen wollen, ist dabei auch das HABEN stellenweise aus dem Schatten des philosophischen Diskurses herausgetreten. Das ist namentlich bei Gabriel Marcel, Jean-Paul Sartre und Pierre Bourdieu der Fall gewesen.
    *
    Dem französischen Philosophen Gabriel Marcel (1889–1973) war schon früh die negative Tatsache aufgefallen, dass nicht nur Kant, sondern auch viele andere namhafte Philosophen für das HABEN nur ein geringes oder gar kein Interesse aufgebracht haben. Das hat ihn umso mehr verwundert, als sonst eher zu beobachten ist, dass die meisten Menschen in ihrem täglichen Dasein einen beträchtlichen Teil ihrer Lebenszeit darauf verwenden oder verschwenden, den Saldo ihres materiellen HABEN -Kontos zu verbessern.
    So hat Gabriel Marcel selber begonnen, dieses verblüffende Reflexionsdefizit wenigstens in Ansätzen zu beheben. Das ist in einem Buch geschehen, das er im Jahre 1935 unter dem Titel «Sein und Haben»
(Être et avoir
) veröffentlicht hat.[ 1 ] Der Titel täuscht insofern, als in diesem Buch nur ein Kapitel von nicht mehr als 32 Seiten Umfang unter dem präziseren Titel «Skizze einer Phänomenologie des Habens» [
Esquisse d’une phénoménologie de l’avoir
] ausdrücklich dem HABEN gewidmet ist. Und auch in diesem Teil, der wie das ganze Buch ineinem locker-essayistischen Stil geschrieben ist, sind die dem HABEN gewidmeten Reflexionen mit vielen anderen Gedanken zu Gott und der Welt vermischt, so dass sie wie Brosamen zusammengesucht werden müssen.
    Nichtsdestoweniger ist dieses Kapitel höchst lesenswert, vor allem weil sich der Autor als erster Philosoph Gedanken darüber gemacht hat, aus welchen Gründen das HABEN so sehr das «Misstrauen»
(méfiance
) der Philosophen auf sich gezogen hat. Er schreibt: «Man möchte sagen, dass die Philosophen sich vom HABEN abgewandt haben, wie von einer unreinen und ganz und gar unbestimmbaren Vorstellung» [
comme d’une idée impure et par essence imprécisable
]. Damit fällt, wie Gabriel Marcel beobachtet hat, ein doppelter Schatten auf das HABEN : die Unreinheit (von welchem Schmutz?) und die Unklarheit (von welcher
clarté
?). Darf aber ein solcher Mangel unwidersprochen bleiben bei einem Begriff, den Aristoteles einmal ehrenvoll in den Katalog seiner Kategorien aufgenommen hat? An anderen Stellen seines Essays hat Gabriel Marcel diese Frage schon selber beantwortet, wenigstens in Umrissen. Was zunächst die «Unreinheit» betrifft, so deutet er an, die Kategorie HABEN könne wohl im Lauf der Geschichte zu sehr in den Dunstkreis der Macht geraten sein [
«la relation qui unit manifestement l’avoir au pouvoir»
]. Und was die «Unschärfe» betrifft, so ist es Descartes, der gerade in Frankreich einen breiten Schatten auf alle Versuche wirft, die Klarheit und Deutlichkeit des Denkens anders als strikt cartesianisch zu definieren.
    Nun hat sich Gabriel Marcel jedoch nicht mit dieser negativen Bilanz zufrieden gegeben und selber überlegt, wie das HABEN auf neuen Wegen in das philosophische Denken eingeführt werden kann. So schreibt er zunächst fast meditativ in einer tagebuchähnlichen Notiz, es sei ihm eines Tages beim Spaziergang die Frage in den Sinn gekommen, was es eigentlich heißt zu sagen, «eine Vorstellung (von etwas) zu HABEN » [
avoir une idée
]. Das führt natürlich weiter zu der umfassenderen Frage, was denn

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